EU verbietet das Neonicotinoid «Thiacloprid» – und die Schweiz?

Thiacloprid kann vermutlich Krebs erzeugen und wird deshalb in der zweithöchsten Krebsgefahrstufe klassiert.
November 17, 2019

Fausta Borsani

Thiacloprid ist ein Insektizid aus der Gruppe der umstrittenen Neonicotinoide. Es wird gegen diverse Insekten wie Blattläuse, Kirschessigfliege, Apfelwickler oder Rapsglanzkäfer eingesetzt. Zulässig ist sowohl die berufliche (landwirtschaftliche) Verwendung als auch die Anwendung im Privatgarten. Nebst seiner zweifellos durchschlagenden Wirkung auf Zielinsekten ist Thiacloprid auch äusserst giftig für Wildbienen, Bienen, Hummeln und praktisch alle weiteren Kleintiere zu Land, zu Wasser und in der Luft. Und nicht nur das, Thiacloprid ist auch für uns Menschen schlecht[i]: es ist in der höchsten Klasse der Reproduktionstoxizität eingeteilt, das heisst, es kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen und das Kind im Mutterleib schädigen. Thiacloprid kann vermutlich Krebs erzeugen und wird deshalb in der zweithöchsten Krebsgefahrstufe klassiert. Es wirkt auf Menschen und Tiere wie ein Hormon und beeinflusst den Stoffwechsel – mit möglichen Folgen wie hormonabhängige Tumorerkrankungen (Brust-, Eierstock-, Prostata- oder Hodenkrebs), verminderte Spermienzahl bei jungen Männern, Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes, Übergewicht und Autismus.

Thiacloprid gehört verboten
Allein aufgrund seiner hohen Reproduktionstoxizität erfüllt Thiacloprid einer der sogenannten «Cut-Off-Kriterien» des europäischen und schweizerischen Pflanzenschutzrechts. Wenn ein solches Ausschlusskriterium zutrifft, darf ein Pestizidwirkstoff unabhängig davon, wieviel ein Mensch pro Tag durch Rückstände auf Früchten und Gemüse oder beim Versprühen des Pestizids zu sich nimmt, nicht zugelassen werden. Ablaufende Zulassungen dürfen nicht mehr erneuert werden. In der Schweiz funktioniert dies leider nicht so einfach, weil die Zulassungen gar nicht ablaufen.

Die Krux mit den «ewigen» Bewilligungen
Pestizidwirkstoffe sind in der EU für 10 Jahre zugelassen. Danach muss die Zulassung erneuert werden. Nicht so in der Schweiz: Der Schweizer Gesetzgeber kennt keine solche Beschränkung in der Pflanzenschutzmittelverordnung. Hierzulande sind auch die schlimmsten Gifte auf «ewig» zugelassen und müssen aktiv wiederrufen werden, um ein hohes Risiko zu beenden. Es wäre nur vernünftig, wenn der Bundesrat diesen Rechtsfehler bald behebt. Denn wegen ihm sind in der Schweiz nach wie vor 10 weitere Pestizidwirkstoffe in der höchsten Klasse der Reproduktionstoxizität zugelassen. Viele Pestizide mit diesen Wirkstoffen werden heute in Landwirtschaft, Gartenbau und von Privaten verwendet und finden sich in der Umwelt wieder. Bis vor einem Jahr waren wenigstens die Bewilligungen für einzelne Pestizide (also Handelsprodukte mit diesen Wirkstoffen) auf 10 Jahre befristet. Das hat der Bundesrat per 1. Januar 2019 aus der Pflanzenschutzmittelverordnung herausgestrichen, so dass nun auch hier «ewige» Bewilligungen für Calypso & Co. bestehen.

Thiacloprid in der EU ab April 2020 verboten
Thiacloprid ist nun in der EU bald verboten: Die Mitgliedsstaaten beschlossen im Oktober 2019 auf Vorschlag der EU-Kommission, die bis April 2020 geltende Genehmigung nicht zu verlängern. Thiacloprid ist damit der vierte Wirkstoff aus der Gruppe der Neonicotinoide, der EU-weit vom Markt verschwindet. Schon seit 2018 sind im Freiland die Neonicotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam verboten – auch in der Schweiz. In der EU ist von dieser Wirkstoffklasse nur noch Acetamiprid zugelassen, und Frankreich hat auch diesen bereits vom Markt genommen.

Die Schweiz schläft
In der Schweiz hat das Bundesamt für Landwirtschaft bislang noch keine Anstalten gemacht, Thiacloprid aus dem Verkehr zu ziehen. Nach wie vor sind 24 Handelsprodukte mit diesem Wirkstoff – von Bayer und Co. – bewilligt und vergiften bei uns Mensch und Natur.

[i] EU Pesticide Database zu Thiacloprid, abgerufen am 15. November 2019 (www.ec.europa.eu)

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