Frauenfeindliche Gifte

Umweltgifte, die in geringsten Mengen die Hormonproduktion unterbrechen – sogenannte endokrine Disruptoren. Zum Beispiel Mancozeb, ein viel gebrauchter landwirtschaftlicher Wirkstoff und Dinosaurier der synthetischen Fungizide, der unser Hormonsystem empfindlich stört und die weiblichen Eizellen schädigt.
Juli 22, 2020

Fausta Borsani

Unser Hormonsystem gleicht der guten alten Post, wo Botschaften auf Briefe geschrieben, in einen Umschlag verpackt und vom Pöstler an ihren Bestimmungort gebracht wurden. Im Hormonsystem werden die Briefe als chemische Moleküle oder Hormone von den Drüsen geschrieben, z.B. von der Schilddrüse oder der Bauchspeicheldrüse. Eingepackt in Couverts aus Transportproteinen werden die Hormone vom Pöstler „Blut“ geliefert. Die Bestimmungsorte dieser Hormon-Botschaften sind die Organe, die durch Hormone regiert werden.

Kleinste Mengen – grosse Wirkung

Es gibt über 1’000 verschiedene Hormone. Am bekanntesten sind wohl das Insulin, produziert von der Bauchspeicheldrüse und verantwortlich für den Zuckerhaushalt, und die weiblichen Geschlechtshormone oder Östrogene aus den Eierstöcken. Von einigen Hormonen genügt schon eine Konzentration von einem Picogramm pro Liter Blut (10-12 Gramm pro Liter ), um eine körperliche Reaktion auszulösen[1]. Diese Konzentration entspricht einem Tropfen im ganzen Neuenburgersee[2]. Es verwundert darum nicht, dass kleinste Mengen an Umweltgiften reichen, um die Hormonproduktion in den Drüsen zu stören. Solche Störer heissen «endokrine Disruptoren»[3]. Sie können unser Hormonsystem auf vielfältige Weise schädigen: Sie hemmen die Produktion der Hormone in den Drüsen oder blockieren die Proteine für den Transport im Blut. Es gibt endokrine Disruptoren, die die Hormonrezeptoren in den Empfängerorganen verwirren und es gibt solche, die sogar selbst als Hormone wirken und bei den Organen ein Sperrfeuer von falschen Befehlen auslösen[4]. Gar nicht einfach, ihre Wirkungsweise zu erkennen!

Dinosaurier mit giftigem Biss

Diese Schwierigkeit ist ein Grund, weshalb die WissenschaftlerInnen erst vor wenigen Jahrzehnten die endokrinen Disruptoren unter die Lupe nahmen. Im europäischen Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel gibt es sogar erst seit Mitte 2018 Richtlinien, um die Wirkung von solchen Stoffen zu identifizieren[5]. Und erst allmählich kommt ans Licht, wie viele der alten, nie näher geprüften Pestizide gefährliche endokrine Disruptoren sind. Zum Beispiel das Fungizid Mancozeb, das schon seit 1948 als Breitbandfungizid für die Landwirtschaft und den Gartenbau zugelassen ist – ein echter Dinosaurier unter den synthetischen Pestiziden! Nach der Verkaufsstatistik des Bundesamtes für Landwirtschaft bringen konventionelle LandwirtInnen in der Schweiz jährlich 68 Tonnen Mancozeb in die Umwelt aus, vor allem auf Kartoffeläckern. Seit Jahren ist bewiesen, dass es ein endokriner Disruptor ist und die weiblichen Eizellen schädigt[6] sowie die Produktion der Schilddrüsenhormone erschwert[7]. Die Europäische Chemikalienagentur stufte Mancozeb im Frühling 2019 in die zweithöchste Kategorie 1B der für die Fortpflanzung giftigen Stoffe ein und diskutierte sogar eine Aufnahme in die höchste Kategorie 1A[8]. Solche Wirkstoffe dürften nach dem heute geltenden Recht nicht mehr als Pflanzenschutzmittel zugelassen werden[9]. Es besteht in der Schweiz wie auch in der EU dringender Handlungsbedarf, diesen Stoff zu verbieten. 

Dieser Post entstand in Zusammenarbeit mit einer medizinischen Fachperson.

Fortsetzung folgt.

[1] https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/sendung/2010/welt-in-zahlen-hormone-100.html

[2] Tropfen = 0.015 g; 1 ml = 66 Tropfen; Volumen von 1012 Tropfen: 1012 : 66 = 0.17 x 1011 ml; dies entspricht: 0.17 x 102 km3, d.h. einem Volumen von 17 km3. Volumen Neuenburgersee beträgt ca. 14 km3 (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_grössten_Seen_in_der_Schweiz).

[3] endokrin = nach innen abgebend; Disruptor = Zerstörer / Unterbrecher.

[4] European Commission, What are endocrine disruptors? (https://ec.europa.eu/environment/chemicals/endocrine/definitions/endodis_en.htm).

[5] ECHA/EFSA, Guidance for the identification of endocrine disruptors in the context of Regulations (EU) No 528/2012 and (EC) No 1107/2009, 18. Juni 2018 (https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/5311).

[6] Cecconi et al, The effects of the endocrine disruptors dithiocarbamates on the mammalian ovary with particular regard to mancozeb, in: Curr Pharm Des. 2007;13(29):2989-3004 (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17979742/).

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Schilddr%C3%BCsenhormone#Wirkungsweise

[8] ECHA, Committee for Risk Assessment RAC Opinion proposing harmonised classification and labelling at EU level of mancozeb (ISO); manganese ethylenebis(dithiocarbamate) (polymeric) complex with zinc salt EC Number, März 2019 (https://echa.europa.eu/documents/10162/6ea48bca-63ef-2999-1f1f-4ac1278d7b60).

[9] Anhang II, Ziffern 3.6.2 bis 3.6.4 der EU-Pflanzenschutzmittelverordnung, ebenso die Schweizer Pflanzenschutzmittelverordnung

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