LandwirtInnen kaufen Pestizide gespickt mit Gebrauchsanweisungen und roten Warnhinweisen. Denn es ist unbestritten, dass eine akute Pestizidvergiftung zu schwerwiegenden Beschwerden führen kann. Was aber ist mit den chronischen Auswirkungen auf Menschen, die sich des Berufes wegen lange und immer wieder Pestiziden aussetzen?
Am 21. Oktober 2020 erkannte der französische Kassationsgerichtshof rechtsgültig an, dass Monsanto (heute Bayer) für die Vergiftung des Landwirtes Paul François durch das Herbizid Lasso verantwortlich ist[1]. Dieser ging als Sieger aus dem 13-jährigen Rechtsstreit um die Verantwortung Monsantos für seine Beschwerden hervor. François litt an schweren Schäden des Nervensystems, seit er 2004 Dämpfe des Herbizids einatmete: Er habe Gedächtnislücken, unerklärliche Kopfschmerzen und Sprachschwierigkeiten.
Paul François ist zwar einer der ersten, aber nicht der einzige betroffene Landwirt in Frankreich. Bei weiteren Fällen wurde bereits anerkannt, dass es sich um Berufskrankheiten handelt. Parkinson und das bösartige Non-Hodgkin-Lymphom werden in Frankreich seit 2012[2] bzw. 2015[3] offiziell als Berufskrankheiten von LandwirtInnen anerkannt. Im Jahr 2012 wurde der französische Staat in einem sensationellen Gerichtsurteil wegen «Leichtfertigkeit und Nichteinhaltung der Sicherheitsvorschriften» verurteilt und musste einen Landwirt entschädigen, der wegen seiner Arbeit mit Pestiziden an Krebs erkrankt war[4].
Im 2015 äusserte das französische nationale Krebsinstitut einen «starken Verdacht, dass Pestiziden an der Entwicklung chronischer Krankheiten wie Krebs, Störungen des Nervensystems und Fortpflanzungsstörungen beteiligt seien, insbesondere im Zusammenhang mit berufsbedingten Einwirkungen. In Frankreich sind 1 bis 2 Millionen Menschen betroffen»[5]. Die französische Krankenkasse für LandwirtInnen erklärte im Jahr 2017, dass Pestizide für 2% der Berufskrankheiten der in der Landwirtschaft Tätigen verantwortlich seien[6].
Eine deutsche Studie von 2018[7] erkennt Pestizide als Ursache von Berufskrankheiten und zeigt: seit 2000 gab es in Deutschland etwa 40 Fälle, die offiziell als Berufskrankheiten aufgrund von Pestizidbelastung gelten. Dazu gehören Atemwegserkrankungen und Hautkrankheiten. Darüber hinaus erkrankten zwischen 2008 und 2010 vier deutsche Landwirte an Parkinson. Ihre Erkrankung gilt seit 2008 als Berufskrankheit[8]. Betroffene haben bei einer Anerkennung Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Schweiz redet nicht über Gesundheitskosten von Pestiziden, und betreibt auch keine Forschung dazu. Über Berufskrebserkrankungen im Zusammenhang mit Pestiziden weiss man nichts. Im Zulassungsverfahren für Pestizide sind die langfristigen Auswirkungen, die Wirkungen über Generationen, die kumulierten und kombinierten Wirkungen von Pestiziden, die Giftwirkungen über Drift und Abfluss, die Wirkungen von kleinsten Dosen und.. und… und… kein Thema.[9]
Dank Bürgerbewegungen bewegt sich aber langsam etwas: In Frankreich sammelt die Vereinigung «Générations Futures» Zeugenaussagen von LandwirtInnen, verbreitet Informationen und kämpft an ihrer Seite[10]. In Deutschland hat der Verband «PAN Deutschland» eine Broschüre herausgegeben, um LandwirtInnen beizustehen[11]. In der Schweiz gehen die Volksinitiativen «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» und «Für sauberes Trinkwasser» das Problem frontal an, mit dem Ziel, den Einsatz von Pestiziden zum Wohle aller, der Menschen und der Umwelt, zu reduzieren.
Obwohl sie in der Schweiz nicht wahrgenommen werden, verursachen die gesundheitlichen Probleme, die mit dem professionellen Einsatz von Pestiziden verbunden sind, auch in der Schweiz viel Leid. Es ist an der Zeit, Solidarität mit den LandwirtInnen zu zeigen, die nach den geltenden Vorschriften arbeiten. Der Bund, der für die öffentliche Gesundheit zuständig ist, hat all diese giftigen Substanzen zugelassen. Es ist an der Zeit, das Ausmass des Problems zu erkennen, Verantwortung zu übernehmen und auch in der Schweiz Rahmenbedingungen zu schaffen, die es uns erlauben, mit mehr Gelassenheit in die Zukunft zu blicken.
[1] https://www.lefigaro.fr/flash-actu/l-affaire-paul-francois-contre-monsanto/bayer-proche-d-un-denouement-20201019
[2] https://www.inrs.fr/publications/bdd/mp/tableau.html?refINRS=RA%2058
[3] https://www.inrs.fr/publications/bdd/mp/tableau.html?refINRS=RA%2059
[4] https://www.journaldelenvironnement.net/article/l-etat-condamne-a-indemniser-une-victime-des-pesticides,28832
[5] https://www.e-cancer.fr/Professionnels-de-sante/Facteurs-de-risque-et-de-protection/Environnement/Pesticides
[6] https://www.lafranceagricole.fr/actualites/cultures/maladies-professionnelles-2-des-cas-dus-aux-phytos-selon-la-msa-1,2,963546786.html
[7] https://epicurus.de/wp-content/uploads/delightful-downloads/Pestizide-und-Berufskrankheiten-V6.pdf
[8] http://toxcenter.org/artikel/Pestizide-BG-Anerkennung.pdf
[9] https://lebenstattgift.ch/wp-content/uploads/2020-10-12-Public-Hearing-Sultan.pdf
[10] https://victimes-pesticides.fr/professionnels/
[11] https://pan-germany.org/pestizide/krank-durch-pestizide-was-tun/
Pestizide gefährden die Gesundheit unserer Bauerinnen und Bauern auch in der Schweiz!