Fausta Borsani
Gegenwärtig diskutieren WissenschaftlerInnen, ob hormonabhängige Tumorerkrankungen der Brust, der Prostata, der Eierstöcke und der Hoden, sowie Fortpflanzungsstörungen durch Pestizide verursacht oder gefördert werden. Die Hinweise dazu verdichten sich. Auch Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes, Übergewicht, Atemwegserkrankungen sowie Hautprobleme können durch Pestizidwirkstoffe ausgelöst oder verstärkt werden. Denn diese sind überall und lassen sich im Blut, im Urin, im Nabelschnurblut und sogar in der Muttermilch nachweisen. 2020 haben ForscherInnen den Urin von 30 Personen aus der Schweiz auf Pestizide untersucht und darin zwischen 3 und 17 Pestizide festgestellt!
Die Zulassungsbehörden behaupten, die Konzentrationen der regelmässig in Obst und Gemüse nachgewiesenen Pestizide stellten keine Gefahr für den Verbraucher dar. Eine im Oktober 2018 veröffentlichte epidemiologische Studie des französischen INRA (Institut National de la Recherche Agronomique) und INSERM (Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale) zeigt jedoch, dass die chronische Exposition gegenüber Pestiziden in der Nahrung eine echte Gefahr darstellt und dass BiokonsumentInnen weniger Risiko haben, an Krebs zu erkranken. Gemäss Vorsorgeprinzip wäre es angebracht, bewilligte Stoffe bei konkretem Verdacht sofort zu verbieten und neue gar nicht erst zuzulassen.
Die Mengen an Pestizide, die wir pro Tag aufnehmen, erscheinen zwar als gering – oft sind es nur tausendstel Gramm oder weniger. Das Problem ist, dass genau solche Mengen auf das Hormonsystem einwirken. Die von ÄrztInnen verschriebene Hormone wirken schon bei Dosen von 1 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht. Die Rückstände der Pestizide, die Hormone nachahmen, sind aber in viel höheren Konzentrationen erlaubt. Ihre zulässigen Tagesdosen liegen zwischen 1 und 1000 Mikrogramm pro Kilogramm. Das heisst, wir essen und trinken Pestizidrückstände in Dosen, die unsere Gesundheit stören können. Die Folgen: Fruchtbarkeitsstörungen, Frühpubertät, hormonabhängige Krebsarten (Brustkrebs, Prostatakrebs…). Das beunruhigt Schwangere, da der Fötus bei der Bildung des Gehirns und der Sexualorgane sehr empfindlich auf die Pestizidrückstände reagiert.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass solche Rückstände, auch in sehr niedrigen Dosen, die über die Nabelschnur oder später über die Muttermilch und die Nahrung aufgenommen werden, irreversible Gesundheitsschäden bei Kindern verursachen. Auf alle Organe haben sie einen negativen Einfluss und sind mitverantwortlich für genitale Missbildungen bei Jungen, vorzeitige Pubertät bei Mädchen, neurologische Entwicklungsstörungen wie Autismus und Aufmerksamkeitsstörungen, verminderte Fruchtbarkeit, neurodegenerative, Verdauungs- und Lebererkrankungen und schliesslich Leukämie, Lymphome und Krebs.
In den USA belegten ÄrztInnen vor zwei Jahren, dass viele Parkinsonerkrankte in unmittelbarer Nähe von Gemüseäckern wohnen, die mit giftigen Pestiziden behandelt wurden. Bei Paraquat (in der Schweiz verboten) und Mancozeb (in der Schweiz wird das Verbot vom Gesetz gefordert, ist aber nicht umgesetzt) kommen Wissenschaftler aus Kalifornien in einer Studie zur Erkenntnis, dass sie die Gefahr für Parkinson erhöhen. Der im Wallis tätige Neurologe Sitthided Reymon wird im K-Tipp vom 5. Mai 2021 zitiert: «Wahrscheinlich wird die Zahl der von Pestiziden verursachen Krankheiten unterschätzt.» Im fiel auf, dass viele jung an Parkinson erkrankten PatientInnen aus dem Wallis stammen. Er fand im Blut von 33 PatientInnen, bei denen andere Risikofaktoren nicht zutrafen, einen regelrechten Cocktail an Pestiziden, so der K-Tipp. Parkinson wird in Frankreich als Berufskrankheit der Bäuerinnen und Bauern anerkannt. In den Vereinigten Staaten verklagten bis heute mehr als 13’000 Landwirte und Berufsleute der Landschaftspflege, die das Herbizid Glyphosat verwendet hatten und an Krebs erkrankten, die Firma Bayer/Monsanto. Sie bekamen bereits in einzelnen Fällen Schadenersatz in Millionenhöhe. Wie geht es den GärtnerInnen und LandwirtInnen in der Schweiz? Leider erfassen die Behörden in der Schweiz keine Daten um den Zusammenhang zwischen Pestiziden und Krankheiten zu erfassen, wie bereits eine Studie des SECO (Staatsekretariat für Wirtschaft) im 2017 feststellte.
Als ungiftig gepriesen…
Das Insektenmittel DDT gelangte in den 1940er und 50er Jahren mit dem Attribut «ungiftig» als «Allheilmittel» gegen Schadinsekten, etwa zur Bekämpfung des Maikäfers in den Verkauf. Der Maikäfer verschwand fast vollständig und der Schweizer Chemiker Paul Hermann Müller erhielt 1947 den Nobelpreis. Dann kam aus, dass DDT in der Umwelt über Jahrzehnte stabil ist, sich im Fett von Menschen und Tieren anreichert, Krebs verursacht und die Fortpflanzung beeinträchtigt. Anfangs der 1970er Jahre wurde es verboten. Noch heute aber finden wir DDT und seine Abbauprodukte im Boden, aber auch im Blut und in der Muttermilch der Menschen.
… aber sehr lange schädlich
Chlorothalonil wird seit den 1970er Jahren gegen Pilzbefall im Acker- und Gemüsebau breit gespritzt. Das Pestizid und seine Abbauprodukte sind gemäss der EU Lebensmittelsicherheitsbehörde wahrscheinlich krebserregend. Die Schweiz zog mit der EU gleich und verbot Chlorothalonil, insbesondere, weil seine Abbauprodukte verbreitet im Grundwasser und Trinkwasser auftauchten. Heute trinken über eine Million Menschen in der Schweiz derart kontaminiertes Wasser. Das wird sich noch Jahre nicht ändern: Die Abbauprodukte von Chlorothalonil sind ausgesprochen langlebig.