EU: Chemie für und nicht gegen den Menschen gesucht

Die Europäische Kommission beschreibt in ihrer Green-Deal-Wirtschaftsstrategie, wie sich die europäische Wirtschaft bis 2050 zu einer nachhaltigen, klimaneutralen Kreislaufwirtschaft entwickeln soll. Dabei spielt die Chemieindustrie eine sehr wichtige Rolle. Denn Chemikalien bedrohen heute Mensch und Umwelt.
Bis 2030 wird in der EU eine Verdoppelung der Chemikalienproduktion erwartet. Bild: PIxabay
Februar 16, 2022

Fausta Borsani

Sorge für Mensch und Umwelt

Im menschlichen Blut, Körpergewebe und sogar in der Plazenta finden WissenschaftlerInnen zunehmend gefährliche Chemikalien, darunter Pestizide und ihre Abbauprodukte, Arzneimittel, Schwermetalle, Weichmacher und Flammschutzmittel. Sogar Babys im Bauch ihrer Mütter kriegen mehrere Gifte ab, was zur Folge hat, dass sie weniger gut wachsen und öfters sterben[i]. Viele Chemikalien sind krebserregend, schädigen das Immunsystem, die Atemwege, das Hormonsystem, das Fortpflanzungssystem oder das Herz-Kreislauf-System, schwächen die Widerstandskraft des Menschen und seine Fähigkeit, auf Impfstoffe zu reagieren, oder erhöhen die Krankheitsanfälligkeit[ii] [iii]. Die Umweltverschmutzung durch diese Gifte hat zudem verheerende Auswirkungen auf Kleintiere wie Vögel, Fledermäuse, Fische, Amphibien und Bestäuberinsekten. Sie sind auch der wichtigste Grund für die Zerstörung von Lebensräumen und den Verlust von Biodiversität. Chemikalien sind mitverantwortlich für den Klimawandel. 84 Prozent der Menschen in der EU sind verständlicherweise denn auch besorgt über die Auswirkungen von in Alltagsprodukten enthaltenen Chemikalien auf ihre Gesundheit und 90 Prozent sorgen sich über deren Umweltwirkung[iv].

Mehr Daten nötig

Bis 2030 wird in der EU eine Verdoppelung der Chemikalienproduktion erwartet[v]. Unter anderem daraus ergab sich die Notwendigkeit einer «EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit». Der 40-seitige Text lässt erahnen, wie schwierig und kompliziert eine Verbesserung der relevanten Gesetzgebung ist [vi]. Folgende neue Anforderungen sollen unter anderem eingebaut werden[vii]: Vor allem soll mehr Wissen bereit stehen für eine Zulassung: Es braucht mehr Daten darüber, wie die zu registrierenden Stoffe wirken, insbesondere, ob sie Krebs erzeugen können oder eine schädliche Wirkung auf das Nervensystem oder die Immunabwehr des Menschen haben. Auch gefährliche synthetische Polymere müssen erfasst werden, dazu gehören z.B. Kunststoffe wie Polyethylen, Polystyrol und Polyvinylchlorid. Was bewirkt eine bestimmte Chemikalie in der Umwelt? Da weiss man immer noch zu wenig, und es sollen daher mehr Informationen zusammengetragen werden. Auch Stoffgemische, sogenannte «Cocktails» und deren Verhalten sollen in die Bewertung eingebracht werden. Die Bewertung und das Zulassungsverfahren und ebenso der Vollzug und die Kontrolle werden überarbeitet und zielkonformer gestaltet: Es geht um den Schutz von uns Menschen und der Umwelt.

[i] Europäische Kommission, Study for the Strategy for the Non-Toxic Environment, 2017, S. 123

[ii] EFSA, Scientific opinion on PFAS und Linking pollution and infectious disease, 2019

[iii] Environmental toxins impair immune system over multiple generations, Science Daily, 2. Oktober 2019

[iv] Eurostat, Eurobarometer, 2020

[v] «The EU’s chemicals strategy for sustainability towards a toxic-free environment», siehe: https://ec.europa.eu/environment/strategy/chemicals-strategy_en

[vi] In der EU werden alle Chemikalien registriert, bevor sie in Produkten wie z.B. Farben, Baustoffen oder Kosmetika eingesetzt werden. Die REACH-Verordnung (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) regelt die Registrierung. Die aktuelle Version der Verordnung leidet aber unter vielen Mängeln und hinkt der Entwicklung in der Industrie nach.

[vii] REACH-Fragebogen, siehe: https://news.wko.at/news/oesterreich/reach-fragebogen.pdf

Die Schweiz profitiert, aber könnte vorarbeiten

Da die Schweiz sich beim Chemikalienrecht an das EU-Recht anlehnt, werden sich Verbesserungen in der EU auch hierzulande auswirken. Das sind Good-News. Die Bad-News: es braucht viel Zeit, bis Verbesserungen für Mensch und Natur spürbar werden. Da könnte die Schweiz z.B. bei den Pestiziden vorarbeiten und die giftigsten bereits aus dem Verkehr ziehen.

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