Parkinson als Berufskrankheit – wann zieht die Schweiz nach?

Italien, Frankreich und seit kurzem auch Deutschland haben die Nervenkrankheit Parkinson als Berufskrankheit anerkannt. Grund dafür sind Studien aus der ganzen Welt, die einen Zusammenhang zwischen Pestizidausbringung und Parkinsonerkrankung feststellten. Auch in der Schweiz wird die Aufnahme gefordert – bisher ohne Erfolg.
Nervenzellen im Gehirn
Bei Parkinson-Erkrankten werden Gehirnzellen fortlaufend abgebaut. Auslöser sind mitunter Pestizide. Bild: Gerd Altmann

Das Wichtigste in Kürze:

  • Parkinson ist eine Nervenkrankheit, die nachweislich im Zusammenhang mit Pestizidausbringung steht.
  • Deswegen wurde die Krankheit in Italien, Frankreich und Deutschland als Berufskrankheit von Landwirt:innen anerkannt. In der Schweiz wurde die Anerkennung bisher abgelehnt.
  • In der Schweiz sind die Zusammenhänge zwischen Pestizidexposition und Parkinsonerkrankung ungenügend erforscht.

Der Verein ohneGift fordert:

In der Schweiz sollen Daten zur Pestizidausbringungen endlich systematisch erfasst und zugänglich gemacht werden.

Nachbarsländer deklarieren Parkinson als Berufskrankheit

Diverse internationale Studien haben gezeigt, dass das Risiko einer Parkinsonerkrankung (mehr zur Krankheit in der orangen Box) zunimmt, je häufiger eine Person Pestiziden ausgesetzt ist.[1] Aufgenommen werden die Pestizide über die Haut oder die Atemwege. Dies ist besonders bei Personen der Fall, welche die Pestizide ausbringen oder in geringer Nähe zu den Anwendungsgebieten (z.B. Weinreben) wohnen. Aus diesem Grund wurde Parkinson in Italien 2008, in Frankreich 2012 und in Deutschland erst kürzlich als Berufskrankheit anerkannt.[2] Die Anerkennung einer Krankheit zur Berufskrankheit bedeutet, dass die erkrankte Person, sofern die Krankheit auf den Beruf zurückzuführen ist, finanzielle Unterstützung bei medizinischen Behandlungen sowie bei Arbeitsunfähigkeit bekommt.

In der Schweiz ist Parkinson nicht als Berufskrankheit anerkannt. Dies wäre jedoch für die erkrankten Menschen sehr entlastend. Zudem würde das Bewusstsein für die schädlichen Auswirkungen von Pestiziden auf die Gesundheit gesteigert werden. Dies wiederum kann sich positivauf die Krankheitsprävention auswirken, indem zum Beispiel Sicherheitsmassnahmen wie das Tragen von Schutzausrüstung oder eine gezieltere Anwendung von  Pestiziden korrekt befolgt werden oder der Pestizideinsatz verringert wird.[3]

Was ist Parkinson?

Morbus Parkinson ist eine Nervenkrankheit, bei welcher fortlaufend Nervenzellen im Gehirn geschädigt werden oder gar absterben. Dadurch fehlt es dem Körper an Dopamin (auch bekannt als Glückshormon), ein wichtiger Botenstoff für die Kontrolle von Bewegungen. Die Symptome sind divers, meist tritt eine Bewegungsverlangsamung, Steifheit und ein unkontrolliertes Zittern auf. Die Symptome können zwar zu einem gewissen Grad gelindert, der Krankheitsverlauf jedoch nicht gebremst oder gestoppt werden.
In der Schweiz sind über 15‘000 Menschen mit der Krankheit diagnostiziert. Männer und Menschen über 60 Jahre sind häufiger betroffen.[4]

Parkinson-Risiko steigt mit Pestizidexposition

Es ist noch nicht vollständig geklärt, wie Pestizide Parkinson genau begünstigen. Forschungsergebnisse[5] geben Hinweise darauf, dass durch die chronische Exposition von Pestiziden mehr freie Radikale (= hochreaktive chemische Verbindungen) im Körper entstehen. Diese freien Radikale können mit Strukturen von lebenden Zellen reagieren und sie dadurch schädigen (dies wird auch als oxidativer Stress bezeichnet). Auch Nervenzellen im Gehirn, sogenannte Neuronen, können von freien Radikalen «angegriffen» werden. Geschieht dies über einen langen Zeitraum, kann die Krankheit Parkinson entstehen. Weiter gibt es Hinweise darauf, dass die mitochondriale Funktion (Mitochondrien sind die Energieapparate der Zellen) durch Pestizidexposition beeinträchtigt wird und dies im Zusammenhang mit der Krankheitsbildung steht. Expert:innen5 sprechen von einem erhöhten Risiko, wenn eine Person in ihrem Leben an mindestens 100 Tagen Pestiziden einer Funktionsgruppe (= Fungizide, Herbizide oder Insektizide) ausgesetzt ist. Unter «ausgesetzt» werden die folgenden Tätigkeiten verstanden, unabhängig ihrer Dauer:

  • Vor- und Nachbereitung der Pestizidanwendung
  • Störungsbeseitigung im Rahmen der Pestizidanwendung (z.B. Reinigung von verstopften Sprühdüsen, Behebung von undichten Behältern etc.)
  • Ausbringen der Pestizide

Grundsätzlich gilt: Je häufiger eine Person Pestiziden ausgesetzt ist, desto höher ist das Risiko für eine Parkinsonerkrankung. Nicht alle Pestizide sind gleich problematische. Von gewissen Pestizidgruppen geht ein erwiesenermassen höheres Risiko als Auslöser für eine Parkinsonerkrankung aus (siehe nachfolgende Tabelle).

FunktionsgruppePestizideAnwendung in der Schweiz[6]
FungizideDithiocarbamate (z.B. Maneb, Dazomet, Mancozeb)
Benzimidazole (z.B. Benomyl, Thiophanat-methyl)
Maneb nicht mehr zugelassen
Benomyl nicht zugelassen
Dazomet Verkaufsmenge 2022: 2.818 Tonnen
Mancozeb Verkaufsmenge 2021: 86.174 Tonnen 
Thiophanat-methyl Verkaufsmenge 2022: 0.940 Tonnen
Herbizidequartäre Ammoniumverbindungen (z.B. Paraquat)
Triazine (z.B. Atrazin, Terbuthylazin)
Paraquat nicht zugelassen
Atrazin nicht mehr zugelassen
Terbuthylazin Verkaufsmenge 2022: 11.913 Tonnen
InsektizideRotenon
Pyrethroide (z.B. Deltamethrin, Cypermethrin)
Organische
Chlorpestizide
Organische Phosphorpestizide
Rotenon nicht zugelassen
Cypermethrin Verkaufsmenge 2022: 0.325 Tonnen
Deltamethrin Verkaufsmenge 2022: 0.107 Tonnen
Pestizide/ Pestizidgruppen mit besonders ausgeprägtem Risiko für eine Parkinsonerkrankung.[5]

Wie ist die Situation in der Schweiz?

2022 wurde von Nationalrat Christophe Clivaz eine Motion mit dem Anliegen, Parkinson und weitere Krankheiten als Berufskrankheit bei Landwirt:innen anzuerkennen, eingereicht. Diese wurde vom Bundesrat und vor ein paar Wochen auch vom Nationalrat abgelehnt. Die Begründung des Bundesrates ist, dass auch wenn Parkinson nicht direkt als Berufskrankheit in der UVV (Verordnung über die Unfallversicherung) aufgeführt ist, sie als solche angerechnet werden kann. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn durch epidemiologische Statistiken oder klinische Erfahrungen nachgewiesen werden kann, dass die Krankheit zu mindestens 75 Prozent durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden ist. Somit wird das Problem bequem umgangen, denn die Beweislast liegt nun bei den Betroffenen und nicht bei der Regierung.  Wohl kaum wird eine betroffene Einzelperson die Ressourcen für solch einen Beweis aufbringen. In Anbetracht der internationalen Studienlage und dem Fakt, dass die Krankheit in unseren Nachbarsländern bereits anerkannt ist, ist es unverständlich, wieso die Krankheit nicht direkt als Berufskrankheit für Landwirt:innen und besonders exponierte Personen aufgenommen und somit der Weg für Betroffene erleichtert wird.

Eine Diskursänderung könnte vielleicht durch eine bessere Datenlage erreicht werden. Denn es liegen keine gesammelten Daten zur Pestizidausbringung in der Schweiz vor (Menge, Häufigkeit, Ort) und auch keine detaillierten Angaben zu den Parkinsonerkrankungen. Es ist also nicht bestätigt, ob die Ausgangslage in der Schweiz derjenigen der internationalen Studien entspricht und somit die Ergebnisse übertragbar sind. Hoffnung gibt ein kürzlich erfolgter Antrag an den Zürcher Regierungsrat von drei Parlamentariern. Sie verlangen Auskunft über die Anzahl von Menschen, die im Kanton Zürich von Parkinson betroffen sind und wie viele davon in der Landwirtschaft tätig sind oder waren.

Fazit

Das Beispiel Parkinson zeigt, dass die gesundheitlichen Folgen von Pestiziden schwerwiegend sein können und um Jahre verzögert eintreten. Ähnliches kennen wir vom Asbest. Um Bewusstsein für dieses Problem zu schaffen, würde eine Anerkennung der Krankheit als Berufskrankheit helfen. Leider sieht es momentan nicht so aus, als würde die Schweiz diesen Schritt gehen. Dafür braucht es wohl grösseren Druck seitens der Politik.
Weiter müssen die Zusammenhänge der Pestizidexposition und der Parkinsonerkrankung spezifisch für die Schweiz untersucht werden. Im Hinblick dessen ist es wichtig, dass die Schweiz endlich Daten zur Pestizidausbringung systematisch erhebt und zugänglich macht.


[1] Beispielhafte Auswahl von Studien:

Baldi et al. (2003): Association between Parkinson’s Disease and Exposure to Pesticides in Southwestern France.

Elbaz et al. (2009): Professional exposure to pesticides and Parkinson disease. Van Maele-Fabry et al. (2012): Occupational exposure to pesticides and Parkinson’s disease: A systematic review and meta-analysis of cohort studies.

Ahmed et al. (2017): Parkinson’s disease and pesticides: A meta-analysis of disease connection and genetic alterations.

Yan et al. (2018): Pesticide exposure and risk of Parkinson’s disease: Dose-response meta-analysis of observational studies.

Darweesh et al. (2022): Exposure to Pesticides Predicts Prodromal Feature of Parkinson’s Disease: Public Health Implications.

Li et al. (2023): Proximity to residential and workplace pesticides application and the risk of progression of Parkinson’s diseases in Central California.

Paul et al. (2023): A pesticide and iPSC dopaminergic neuron screen identifies and classifies Parkinson-relevant pesticides.

[2] INFOsperber (2024): Parkinson durch Pestizide wird in Deutschland Berufskrankheit

[3] NRD (2024): Berufserkrankung bei Landwirten: Pestizide verursachen Parkinson

[4] Parkinson Schweiz: Was ist Parkinson?

[5] Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (2024): Wissenschaftliche Empfehlung für die Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“.

[6] Angaben zur Verkaufsmenge von BLW (2023): Verkaufsmenge je Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff.

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