Landflucht – Städte als Hotspot der Biodiversität?

Landflucht - Was man sonst von Menschen kennt, gibt es auch im Reich der Insekten. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft sind in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten qualitativ hochwertige Lebensräume verloren gegangen; damit ist auch die Anzahl und Vielfalt von (Bestäuber)Insekten zurückgegangen. Auch die Stadt birgt Herausforderungen für die Insekten, jedoch gibt es einen Trend zu mehr grüner Infrastruktur als Massnahme gegen die Auswirkungen des Klimawandels – eine Chance auch für Bestäuberinsekten?
Dachterasse im Toni Areal in Zürich
Abbildung 1: Begrüntes Dach im Toni-Areal in Zürich. Bild @Giny Fonda

Das Wichtigste in Kürze:

 

  • Der Trend zur grünen Stadt verbessert nicht nur die Lebensqualität für die Menschen, sondern ist auch eine Chance für die Biodiversität.
  • Ökologisch intelligent vernetzte städtische Grünflächen können (Bestäuber-)Insekten fördern. Auch Private können im Garten und auf dem Balkon einen Beitrag leisten.
  • Verbesserungen auf Agrarland bleiben aufgrund der Flächenwirksamkeit zentral: Der Anteil der Siedlungsflächen an der Landesfläche beträgt 8 Prozent, derjenige der Landwirtschaftsflächen 35 Prozent.

Geringe Biodiversität in der Agrarlandschaft

15. April 2024, es ist ruhig an diesem Frühlingsnachmittag am Sempachersee.  Auf den vereinzelten Blütenstreifen zwischen den intensiv bewirtschafteten Wiesen und Feldern sind  wenige Schmetterlinge zu beobachten. Ganz anders auf der begrünten Dachterrasse des Toni-Areals im 50 Kilometer entfernten Zürich. Verschiedene Insekten schwirren um blühende Kräuter, Sträucher und Bäumchen. 

Was hier zufällig beobachtet wurde, scheint in den letzten Jahren zum Trend geworden zu sein. Während die Biodiversität im ländlichen Raum mit der Intensivierung der Landwirtschaft und Monotonisierung der (Agrar-)Landschaft stark zurückgegangen ist, nicht zuletzt als Folge des Pestizideinsatzes, haben Insekten in der Stadt neue Lebensräume erschlossen. Auch das Blütenangebot ist in der Stadt oft reicher als im Umland.[1]

Daten aus einer Feldstudie in Bayern zeigen, dass städtische Insekten­populationen im Vergleich zu ländlichen Gebieten zwar oft kleiner sind (bezogen auf die totale Biomasse), dafür artenreicher. Zudem weisen sie eine höhere Anzahl an gefährdeten Arten auf.[2] Der Rückgang der Biodiversität im Agrarland ist nicht nur aus Sicht Artenschutz problematisch, sondern auch für die Landwirtschaft, denn viele Kulturen sind auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen (siehe Blogbeitrag «Bestäuberinsekten – gefährdete kleine Helden»).

Grüne Infrastruktur verbessert die Lebensqualität in der Stadt

Der Klimawandel ist in den Städten bereits jetzt zu spüren. Wenn die Temperaturen im Sommer über 30 Grad steigen und es für mehrere Tage nicht regnet, bleibt die Hitze in der Stadt hängen. Man spricht vom sogenannten Hitzeinseleffekt.

Um diesen abzuschwächen, hilft eine Begrünung des Stadtraumes. Die Vegetation kühlt das Mikroklima, einerseits durch Beschattung, andererseits durch das Verdunsten von Wasser durch die Pflanzen. Für die Verdunstung entziehen die Pflanzen der Umgebungsluft Energie, was zu einer lokalen Abkühlung führt. Diese kann mehrere Grad betragen und verbessert das Stadtklima.[3]

Weitere Vorteile von Begrünungen sind die Reduzierung der Lärmbelastung und das Binden von Schadstoffen, was die Luftqualität verbessert. [4] Hinzu kommt, dass eine grüne Infrastruktur mit mehr unversiegelten Flächen bei intensiven Starkregen einen Teil des Wassers aufnehmen kann. Damit wird das Abwassersystem entlastet und die Hochwassergefahr verringert.

Eine grüne Stadt bringt Vorteile für Menschen und Insekten

Zur grünen Infrastruktur zählen öffentliche Parkanlagen, Strassenborde, Verkehrsinseln und Stadtbäume, aber auch begrünte Fassaden und Dächer, private Gärten und Balkone. Eine grüne Infrastruktur verbessert nicht nur die Lebensqualität der Menschen in der Stadt, sondern schafft eine Vielzahl klein­räumiger Standorte mit unterschiedlichen Boden-­ und Klimaverhältnissen. Davon profitieren artenreiche Pflanzengemeinschaften und die darauf angewiesenen Bestäuberinsekten.[5],[6] Begrünte Fassaden beispielsweise bilden Lebensraum, Refugium und Nahrungsquelle für Vögel, Schmetterlinge, Wildbienen und andere Insektenarten. 

Sandbienenhöhlen in Berlin
Abbildung 2: Sandbienen haben einen Lebensraum auf einem Gehsteig in Berlin zwischen Pflastersteinen gefunden. Bild @Solène Schaub

Exkurs: Förderung von Wildbienen in Berlin

Berlin ist mit aktuell 286 nachgewiesenen Arten ein Hotspot der Wildbienenvielfalt. Mehr als 40 Prozent dieser Wildbienenarten stehen jedoch auf der roten Liste und sind vom Aussterben bedroht. Als wichtigsten Handlungsbedarf hat die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt darum die Verbesserung der bienenfreundlichen Bepflanzung ausgemacht. Zur Strategie zur Förderung der Wildbienen gehört auch eine jährliche Fachtagung „Mehr Bienen für Berlin – Berlin blüht auf“, an der auch Strategien anderer Städte vorgestellt werden.[7]

Grün ist nicht gleich grün

Für die Extensivbegrünung des städtischen Raumes sind besonders heimische Arten geeignet, da sie der natürlichen Fauna (wie den Bestäuberinsekten) das passende Nahrungsspektrum bieten und an die lokalen Klimabedingungen angepasst sind. Dabei müssen die Arten den Wechsel zwischen Feuchte und Trockenheit sowie Hitze und Frost aushalten.[8]

Tierökologisch besonders wertvoll sind Efeu, Wilder Wein und Geissblattarten.[9] Während die Blüten des Efeus eine wichtige Nahrungsquelle für Wildbienen, Schwebefliegen und Schmetterlinge sind, ernähren sich Vögel wie Rotkehlchen und Amsel von dessen Früchte.

Willst auch Du bei dir auf dem Balkon oder Garten bestäuberfreundliche Pflanzen?

Hier findest du einen Leitfaden der Versuchsanstalt für Gartenbau Heidelberg für eine bestäuberfreundliche Bepflanzung im Siedlungsraum mit einem Merkblatt für die Pflanzenauswahl.

Vernetzung als Schlüsselfaktor

Der Flugradius vieler (Bestäuber-)Insekten beschränkt sich auf wenige hundert Meter. Daher ist es wichtig, dass einzelne Grünflächen nicht zu weit voneinander entfernt sind.[10] Diese Vernetzung ermöglicht genetischen Austausch und bietet Ausweichmöglichkeiten, falls sich einzelne Habitate verschlechtern oder durch Überbauung verschwinden.[11] Ohne Verbindungswege können kleine, isolierte Flächen zu Fallen für jene Organismen werden, die sich nicht ausbreiten können. Dies erhöht das Risiko für Inzucht und einen Rückgang der Populationen.[12]Gerade in der Stadt sind die Lebensräume oftmals weit voneinander entfernt und die bauliche Verdichtung kann das Risiko für die Populationen noch verschärfen. [13]

Die Erhaltung, Aufwertung und Vernetzung städtischer Grünflächen sind daher entscheidend, um sowohl die Lebensqualität für die Menschen zu verbessern, als auch die (Bestäuber-)Insekten zu fördern.[14]

Achtung Pestizide!

Auch Pflanzen in der Stadt sind durch (invasive) Schädlinge bedroht. Trotzdem ist es wichtig, den Einsatz von synthetischen Pestiziden in der Stadt auf ein Minimum zu beschränken.

Warum die Landwirtschaft trotzdem eine besondere Verantwortung hat

Konzepte zur Stadtraumbegrünung werden in vielen Städten erarbeitet und umgesetzt. Dies ist eine Chance für die Biodiversität, die es jetzt zu nutzen gilt. Es geht nicht nur um die Adaption an den Klimawandel, sondern auch die Erhaltung und Förderung der städtischen Biodiversität. Um Bestäubung zu fördern, empfehlen verschiedene Forschende die Bedürfnisse von Bienen bei der Grünflächenplanung besser zu berücksichtigen.[15] Die Städte können so auch helfen, die Bestäubung im landwirtschaftlichen Umland zu erhalten, indem sie als Reservoir für Bestäuber dienen. 

Zweifellos braucht es aber auch griffige Massnahmen, um die Biodiversität im Agrarland zu fördern. Sei es durch das Schaffen von blütenreichen Flächen, weniger Pestiziden oder biodiversitätsschonenden und -fördernden Fruchtfolgen und Anbaumethoden. [16] Denn die Landwirtschaft hat aufgrund ihrer Flächenwirksamkeit eine besondere Verantwortung: Der Anteil der Siedlungsflächen an der Landesfläche beträgt 8 Prozent, derjenige der Landwirtschaftsflächen 35 Prozent.


[1]https://zuerich.stadtwildtiere.ch/node/10523#:~:text=Bei%20StadtWildTiere%20Z%C3%BCrich%20besch%C3%A4ftigten%20wir,Kulturpflanzen%20auf%20best%C3%A4ubende%20Insekten%20angewiesen

[2] https://www.nature.com/articles/s41467-021-26181-3

[3] https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-319-56091-5

[4] https://www.stadtgaertnerei.bs.ch/dam/jcr:18320817-b4ca-41e3-877e-e516ec215806/76_Merkblatt%20Fassadenbegruenung.pdf

[5] https://esajournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/fee.2098

[6] https://www.researchgate.net/publication/338896261_Urban_areas_as_hotspots_for_bees_and_pollination_but_not_a_panacea_for_all_insects

[7] https://www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/biologische-vielfalt/umsetzungsinitiativen/bestaeuberstrategie/#:~:text=Berlin%20hat%20eine%20Strategie%20f%C3%BCr,die%20Zusammenarbeit%20der%20relevanten%20Stakeholder.

[8] https://www.znf.uni-hamburg.de/media/documents/schuette/stadtgruen.pdf

[9] https://www.stadtgaertnerei.bs.ch/dam/jcr:18320817-b4ca-41e3-877e-e516ec215806/76_Merkblatt%20Fassadenbegruenung.pdf

[10] https://www.znf.uni-hamburg.de/media/documents/schuette/stadtgruen.pdf

[11] https://lvg.landwirtschaft-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Projekte/Schutz+und+Foerderung+der+ biologischen+Vielfalt+in+der+Stadt+und+in+den+Gemeinden

[12] https://www.wsl.ch/de/news/was-es-braucht-damit-tiere-in-staedten-ueberleben-koennen/

[13] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0169204619306693

[14] https://conbio.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/cobi.12840

[15] https://naturschutz.ch/news/forschung/bestaeubung-funktioniert-in-staedten-besser-als-auf-dem-land/142981

[16] https://www.nature.com/articles/s41467-020-14496-6

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