Neue Rote Liste der Bienen – ein Warnzeichen

Nach 30 Jahren erschien dieses Jahr die aktualisierte Ausgabe der Roten Liste der Wildbienen. Sie gibt den Gefährdungsstatus der Bienenarten in der Schweiz an. Die Ergebnisse sind ernüchternd und geben Anstoss zum Handeln.
Wildbiene auf Blüte
Abbildung 1: Diese Bienenart könnte es bald nicht mehr geben: Anthophora bimaculata (auf dem Bild ein Weibchen) ist eine der vom Aussterben bedrohten Wildbienenarten in der Schweiz. Bild: Albert Krebs

Das Wichtigste in Kürze:

  • Fast die Hälfte der Bienenarten in der Schweiz sind auf der Roten Liste, ganze 10 Prozent sind bereits ausgestorben
  • Ursachen sind fehlende Nahrung und Nistmöglichkeiten, der Einsatz von Pestiziden, die Konkurrenz durch Honigbienen und die Klimaerwärmung.
  • Politische Massnahmen sind nötig, um die Ursachen der Gefährdung anzugehen.

Der Verein ohneGift fordert:

Die Politik soll die Warnzeichen der Roten Liste erkennen und entsprechende Massnahmen zur Wildbienenförderung in die Wege leiten.

Vor kurzem erschien die neue Rote Liste der Bienen[1] für die Schweiz mit Stand im Jahr 2022. Diese ersetzt die veraltete Version von 1994 und gibt aktuelle Einblicke in den Gefährdungszustand der Bienen in der Schweiz. Honigbienen wurden in der vorliegenden Liste nicht bewertet, da die wenigen freilebenden Honigbienenvölker vorwiegend von den Völkern aus der Imkerei und nicht von Umweltfaktoren beeinflusst sind. Die Liste gibt wichtige Anhaltspunkte für den praktischen Naturschutz (siehe orange Box «Von der Roten Liste zum Naturschutz»).

Vorab ist zu erwähnen, dass die neue Rote Liste nicht mit der aus dem Jahr 1994 verglichen werden kann. Damals wurden andere Methoden und eine viel kleinere Datenmenge verwendet. Wir können also nicht einen Vergleich der Situation damals – heute ziehen, vielmehr ist die neue Liste als vollständigeres Bild zum Zustand der Wildbienen in der Schweiz zu verstehen.

Was sind Rote Listen?

Rote Listen beurteilen die Aussterbewahrscheinlichkeit von Organismen und die Gefährdung von Lebensräumen. Somit dienen sie als eine Art Warnsystem für den Erhalt der Biodiversität. Solche Listen beziehen sich jeweils auf ein bestimmtes geografisches Gebiet, deswegen gibt es verschiedene Listen von verschiedenen Ländern oder Regionen. In der Schweiz existieren Rote Listen für 28 Organismengruppen[2]. Somit sind einige, aber längst nicht alle Organismengruppen durch eine Beurteilung abgedeckt. Die Beurteilung der Gefährdung einer Art basiert dabei auf Kriterien, die von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) definiert wurden.  Jede untersuchte Art wird einem der folgenden Kategorien (gemäss IUCN) zugeordnet:

RE* – regionally extinct / regional (z.B. in der Schweiz) ausgestorben

CR* – critically endangered / kritisch gefährdet

EN* – endangered / stark gefährdet

VU* – vulnerable / verletzlich

NT – near threatened / nahezu bedroht

LC – least concern / nicht bedroht

Bei den mit * markierten Kategorien spricht man von Arten, die «auf der Roten Liste» sind.

Von der Roten Liste zum Naturschutz

Rote Listen haben in der Schweiz eine direkte Bedeutung für den Vollzug des Naturschutzes. In der Verordnung über den Natur- und Heimatschutz (NHV) steht geschrieben[3], dass Lebensräume zu schützen sind, welche gefährdete und seltene Pflanzen- und Tierarten (gemäss den Roten Listen vom BAFU) enthalten. Die Umsetzung ist Sache der Kantone.

Hohe Rote Liste Werte bei den Bienen

In Abbildung 2 sind die Ergebnisse der Rote Liste zusammengefasst. Erschreckend ist: fast die Hälfte (279 Arten, ~46%) aller Bienenarten der Schweiz sind gefährdet und folglich als Rote Liste-Arten kategorisiert (siehe rot gefärbte Anteile). Besonders betroffen sind die folgenden Artengruppen:

  • Blütenspezialisten: Arten, die auf Blüten bestimmter Pflanzenfamilien oder –gattungen angewiesen sind, sind gefährdeter als solche, die ein breites Spektrum an Pflanzen für ihre Nahrung verwenden.
  • Bodennister: Die meisten Bienen nisten in selbst gegrabenen Gängen im Boden. Andere in Hohlräumen ausserhalb des Bodens (z.B. Grashalme, Totholz, leere Schneckenhäuser). Die Bodennister sind gefährdeter als die oberirdisch nistenden Arten. Dies liegt wohl daran, dass viele spezifische Ansprüche an das Bodensubstrat, die Vegetationsbedeckung, den Verdichtungsgrad oder die Bodenneigung haben, während oberirdisch nistende Arten weniger wählerisch sind.
  • Arten, die im Tiefland oder in mittleren Höhenlagen vorkommen. Diese Arten sind, bedingt durch den anthropogenen Druck auf die Lebewesen deutlich stärker gefährdet.
  • Sommerflieger: Arten, die in den Sommermonaten fliegen, sind gefährdeter als solche, die im Frühling aktiv sind. Grund dafür ist der Mangel an Blüten im Sommer, insbesondere in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten.
Kuchendiagramm mit den Ergebnissen der Roten Liste 2022
Abbildung 2: Ergebnisse der neuen Roten Liste der Bienen. Jeweils angegeben sind absolute Artzahlen und ihre gerundeten Prozente. Insgesamt untersucht wurden 615 Arten. Eigene Darstellung mit Daten von BAFU (2024).

59 ehemals in der Schweiz lebende Bienenarten sind heute ausgestorben. Dies betrifft ganze 10% der heimischen Bienenarten und ist alarmierend. Verglichen mit anderen Insektengruppen ist dies ein extrem hoher Anteil (siehe Abbildung 3). Bei der Interpretation der Grafik muss jedoch bedacht werden, dass nicht alle Rote Listen gleich aktuell sind wie diejenige der Bienen. Die älteste Liste ist aus dem Jahr 2007 (Heuschrecken), die neuste aus dem Jahr 2021 (Singzikaden). Bemerkenswert ist jedoch, dass sich der Anteil der Roten Liste Arten (Summe der roten Flächen) bei allen Insektengruppen in einem ähnlichen Bereich bewegt. Dieser liegt zwischen 30 und 50%, mit Ausnahme der Singzikaden mit 80%.

Balkendiagramm Rote Liste aller Insekten
Abbildung 3: Ergebnisse der bestehenden Roten Listen von Insektengruppen. EPT = Eintagsfliegen, Steinfliegen und Köcherfliegen. Eigene Darstellung mit Daten von BAFU.

Nachfolgend gehen wir auf die wichtigsten Ursachen für den hohen Gefährdungsstatus der Bienen ein, welche in der Publikation der Roten Liste thematisiert werden.

Blütenmangel

  • Blütenmenge: Die Blütenmenge ist von entscheidender Bedeutung. Die Versorgung eines einzigen Nachkommens benötigt den Pollen und Nektar von Duzenden bis mehreren Hunderten Blüten.
  • Blütenvielfalt: Etwa die Hälfte aller Wildbienen sind Spezialisten, das heisst sie benötigen eine ganz bestimmte Pflanzengattung oder –familie für ihre Nahrung. Eine fehlende Blütenvielfalt ist Mitgrund für die Gefährdung vieler Bienenarten.
  • Blütenkontinuität: Die Blühzeitpunkte müssen mit den Flugzeiten der Bienen übereinstimmen, nur dann sind sie für die Bienen von Nutzen. Ein passendes Blütenangebot muss über die gesamte Aktivitätszeit der Bienen sichergestellt werden.

Fehlende Nistplätze

Zum Nisten brauchen Wildbienen eine Vielzahlt an Kleinstrukturen, wie zum Beispiel Totholz, stehendes Altgras, offene Bodenstellen, Sand oder leere Schneckenhäuser. Jede Art hat spezifische Ansprüche. Momentan mangelt es an vielfältigen Nistmöglichkeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig, beispielsweise: versiegelter Boden, eintönig bewirtschaftete Flächen, «saubere» Landschaft, wo Totholz oder stehengebliebenes Altgras kein Platz bekommt.

Fehlende Vernetzung

Die Distanzen zwischen den Nist- und Nahrungsplätzen dürfen nicht zu gross sein. Richtwert: Max. 100m für kleine und max. 300m für grosse Arten. Diese Vernetzung der Lebensräume ist vor allem in Ackerbaugebieten des Mittellandes häufig nicht gewährleistet.

Pestizide

  • Herbizide verringern das Blütenangebot
  • Insektizide töten oder schädigen Bienen direkt oder indirekt. Besonders gefährlich sind z.B. Neonicotinoide, da sie eine nervenschädigende Wirkung haben und sich in den Pflanzen anreichern.
  • Die schädigende Wirkung ist höher, wenn die Insekten zusätzlich bereits durch andere Faktoren belastet werden, z.B. durch Nahrungsknappheit oder Krankheitsbefall.
  • Wildbienen sind stärker von Pestiziden gefährdet als Honigbienen, da sie solitär leben. Die brutaktiven Weibchen kommen selber direkt mit den Mittel in Kontakt und übertragen die Gifte auf die Larven. Bei Honigbienen hingegen sind eher die nicht-reproduzierenden Arbeiterinnen betroffen. Diese sterben, bevor sie etwas an die Larven abgeben.

Honigbiene

  • Konkurrenz: Vor allem in landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen tiefer und mittlerer Lagen ist der Konkurrenzdruck durch Honigbienen gross. Dies weil das Blütenangebot gering und gleichzeitig die Honigbienendichte hoch sind.
  • Krankheitserreger: Honigbienen sind bedeutende Überträger von Krankheiten. Sie lassen Viren oder Pilzsporen auf Blüten zurück, wo sich Wildbienen infizieren können. Die Stärke dieses Effekts ist noch wenig erforscht.

Klimaerhitzung

Der Klimawandel hat viele Auswirkungen, die in ihrer gesamten Komplexität noch nicht verstanden sind. Grundsätzlich kann von negativen Auswirkungen auf kälteangepasste Arten, wie zum Beispiel Hummeln, ausgegangen werden. Zudem erwartet die Wissenschaft folgende Effekte, die teilweise bereits beobachtet werden:

  • Höhere Mortalität im Winter durch die steigenden Temperaturen.
  • Wärmeliebende Arten können sich in höhere Lagen ausbreiten und da kältetolerante Arten verdrängen.
  • Pathogene können sich rascher ausbreiten.
  • Blühzeitpunkte und Flugzeiten können sich zeitlich verschieben. Dies ist besonders für Spezialisten gefährlich.

Fazit

  • Die Ergebnisse der Roten Liste zeigen auf: Viele Wildbienen sind gefährdet oder gar schon ausgestorben.
  • Da Wildbienen für unser Leben zentral sind, beispielsweise durch ihre Bestäubungsleistung (siehe Artikel «Bestäuberinsekten – gefährdete kleine Helden»), ist es von entscheidender Bedeutung, die Ergebnisse der Roten Liste ernst zu nehmen und entsprechende Massnahmen einzuleiten.
  • Änderungen in unserem Landwirtschafts- und Ernährungssystem sind nötig, denn die Intensivierung der Landwirtschaft (besonders auch im Berggebiet) und damit der Verlust an Lebensräumen stellt eine grosse Bedrohung für Bienen dar.
  • Bei der Zulassung von Pestiziden muss die Gefährdung der Wildbienen berücksichtigt werden.
  • Pestizidfreie landwirtschaftliche Produktion soll gefördert werden.
  • Der Detailhandel soll seinen Teil der Verantwortung übernehmen und pestizidfreie Produkte nicht überteuert anbieten.
  • Um politische Hebel zu betätigen, hilft beispielsweise die Unterstützung der Biodiversitätsinitiative, die im September zur Abstimmung kommt.

[1] BAFU (2024): Rote Liste der Bienen. Gefährdete Arten der Schweiz. Stand 2022.

[2] BAFU (2024): Rote Listen: Gefährdete Arten der Schweiz.

[3] NHV Art. 14 Abs. 3

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