Die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels sind bereits heute zu spüren, die grössten Veränderungen kommen jedoch erst noch auf uns zu. Gemäss Klimaszenarien für die Schweiz werden folgende Trends erwartet [1] :
- steigende Durchschnittstemperaturen
- niederschlagsärmere Sommer
- häufigere Starkniederschläge
- mehr Hitzetage
- milde und schneeärmere Winter
Solche Entwicklungen gehen nicht spurlos an Bestäuberinsekten vorbei. Die Umgebungstemperatur beeinflusst direkt die Physiologie von Bestäuberinsekten und ihren Nahrungspflanzen (siehe oranger Kasten «Insekten haben eine andere Zeitrechnung»). Die Erderwärmung beeinflusst die Bestäubungsleistung, indem sie direkt oder indirekt auf Bestäuber und/oder Pflanzen einwirkt.[2] Im vorliegenden Beitrag interessieren uns die unmittelbaren Folgen der Erderwärmung für die Bestäuberinsekten und ihre Nahrungspflanzen. In einem zweiten Teil werden wir die indirekten Folgen anschauen.
Insekten haben eine andere Zeitrechnung
Anders als Säugetiere sind Insekten wechselwarme Organismen, das heisst, ihre Körpertemperatur wird durch die Umgebungstemperatur bestimmt. Auch ihre Entwicklung ist stark an die Umgebungstemperatur gebunden. Die verschiedenen Entwicklungsstadien – Larve, Puppe, erwachsenes Tier – werden durch sogenannte Tagesgrade bestimmt. Tagesgrade kombinieren Zeitdauer und Temperatur (Temperatursumme über die Zeit). Ein Insekt muss eine bestimmte Anzahl an Tagesgraden durchleben, bis es sich vom Ei zum erwachsenen Tier ausgebildet hat. Ist es kalt, dauert die Entwicklung länger. Ist es warm, geht es schneller. Insekten altern nicht stetig, sondern in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur.[3]
Die Erderwärmung kann die Übereinstimmung von Bestäuberinsekten und ihren Nahrungspflanzen auf vier Arten unmittelbar stören; konkret wird unterschieden zwischen 1. räumlicher, 2. zeitlicher und 3. morphologischer Diskrepanz (= fehlende Übereinstimmung) sowie 4. fehlender Erkennung (siehe nachfolgende Abbildung).[4]
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Wärmere Temperaturen können dazu führen, dass ehemals ungeeignete Gebiete für eine Art neu bewohnbar und frühere Verbreitungsgebiete ungeeignet werden. Häufig bedeutet das, dass Arten nordwärts und/oder in höhere Lagen wandern. Solche Arealverschiebungen sind bei Bestäubern zahlreich nachgewiesen und werden mit der Erderwärmung in Verbindung gebracht.[5] Problematisch für die Bestäubung wird es, wenn Bestäuber und Pflanzen nicht an die gleichen Orte oder nicht gleich schnell wandern. Dies ist nicht selten, denn häufig haben die Bestäuber und ihre Nahrungspflanzen nicht die genau gleichen klimatischen Ansprüche und breiten sich unterschiedlich schnell aus (räumliche Diskrepanz).[6]
Es kann auch zu einer gestörten Bestäubung kommen, wenn beide Akteure zwar im gleichen Gebiet vertreten sind, sich ihre Aktivitätszeiten aber unterscheiden und die Pflanzen nicht zur gleichen Zeit blühen, wie die Insekten aktiv sind (zeitliche Diskrepanz). Wird es früher im Jahr warm, kann das den Blühzeitpunkt und die Flugaktivität beeinflussen. Bei gewissen Arten ist der Blühzeitpunkt / die Flugaktivität jedoch mehr durch die Tageslänge als die Temperatur bestimmt. So kann es zu zeitlichen Verschiebungen kommen.
Insekten und Blütenpflanzen passen nicht mehr zusammen
Selbst wenn Zeit und Ort passen, kann die Bestäubung durch veränderte klimatische Bedingungen verhindert werden. Wärmere Temperaturen können das Aussehen, die Form und Beschaffenheit (Morphologie) so ändern, dass eine Bestäubung nicht mehr stattfinden kann (morphologische Diskrepanz). Dazu ist es wichtig zu verstehen, dass sich Bestäuber-Pflanzen-Interaktionen über Tausende von Jahren entwickelt haben (Ko-Evolution). Der Körperbau und die Verhaltensweise von Bestäuberinsekten sind teilweise ganz genau auf den Bestäubungsmechanismus und den Aufbau einer Blüte abgestimmt. Als Reaktion auf die globale Erwärmung werden diverse Insektengruppen kleiner, vermutlich aufgrund eines schnelleren Stoffwechsels. Da die Blütengrösse von Pflanzen nicht mit der Temperatur abnimmt, passen Insekten und Blütenpflanzen nicht mehr zusammen.[5] Ein Beispiel: Mit den wärmeren Sommern haben einige Hummelarten in den letzten Jahrzehnten kürzere Rüssel ausgebildet. So können gewisse Pflanzenarten nicht mehr von diesen Hummeln bestäubt werden.[7]
Insekten und Blütenpflanzen erkennen sich nicht mehr
Schliesslich kann auch eine fehlende Erkennung die Bestäubung verhindern. Auf Seite der Pflanze kann dies durch veränderte Duftstoffe verursacht sein. Blütenpflanzen locken Bestäuberinsekten über spezifische Duftstoffe, sogenannte flüchtige organische Verbindungen (volatile organic compounds VOC) an. So können Insekten ihre Nahrungspflanzen über Distanz erkennen.[8] Es konnte gezeigt werden, dass sich die VOCs in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur verändern. Beispielsweise werden die produzierte Menge und die chemische Zusammensetzung beeinflusst oder die Ausbreitungsgeschwindigkeit erhöht. Bestäuber können verwirrt werden, wenn es stärker duftet oder die artspezifischen Duftmerkmale sich verändern.[5]
Auf Seiten der Bestäuber kann sich die Hitze negativ auf die Geruchssensoren auswirken. Bei zu hohen Temperaturen denaturieren Proteine und können im Geruchssinn, aber auch im Nervensystem oder an anderen Stellen im Körper, Schaden anrichten.[5]
Erhöhte Sterblichkeit
Erhöhte Temperaturen können die Überlebenschancen von Bestäubern zusätzlich reduzieren, indem sie die Pollenqualität, den Zuckergehalt im Nektar und die Nektarmenge der Blütenpflanzen vermindern oder dazu führen, dass die Pflanzen mehr Abwehrstoffe einlagern.
Fazit
- Die globale Erwärmung beeinflusst die Interaktionen zwischen Bestäubern und ihren Nahrungspflanzen auf vielen Wegen.
- Manche Effekte sind für viele Arten gültig, andere treten sehr spezifisch auf. Während einige Gemeinschaften durch die Erderwärmung gefährdet sind, können andere profitieren. Besonders gefährdet sind spezialisierte Arten.
- Ökoysteme sind komplex und exakte Voraussagungen der Folgen der Erderwärmung für die Bestäubung schwierig. Die möglichen Schäden durch die Gefährdung von Bestäubern sind beunruhigend.
[1] Fischer et al. (2022): Climate Scenarios for Switzerland CH2018 – Approach and Implications.
[2] Scaven & Rafferty (2013): Physiological effects of climate warming on flowering plants and insect pollinators and potential consequences for their interactions.
[3] Sridhar & Reddy (2013): Use of Degree Days and Plant Phenology: A Reliable Tool for Predicting Insect Pest Activity Under Climate Change Conditions.
[4] Gérard et al. (2020): Global warming and plant–pollinator mismatches.
[5] Bedford et al. (2012): Systemic range shift lags among a pollinator species assemblage following rapid climate change.
[6] Gérard et al. (2020): Global warming and plant–pollinator mismatches.
[7] Miller-Struttmann et al. (2015): Functional mismatch in a bumble bee pollination mutualism under climate change.
[8] Beyaert & Hilker (2013): Plant odour plumes as mediators of plant–insect interactions.