Keine Pestizidbewilligungen mit der Giesskanne – Ablehnung der laufenden Revision des Landwirtschaftsgesetzes zur vereinfachten Zulassung von Pestiziden

Bei der Zulassung von Pflanzenschutzmittel (PSM) werden die Weichen für die Qualität unseres Wassers gestellt. Seit langem zeigen Messungen in Gewässern und Trinkwasser, dass eine bessere Prüfung notwendig ist. Die unter dem Titel «Modernen Pflanzenschutz in der Schweiz ermöglichen» laufende Revision des Landwirtschaftsgesetzes (LwG) - bis am 9.12.2024 in Vernehmlassung – verschlechterte die Prüfungsqualität aber zusätzlich: PSM aus 20 EU-Ländern könnten in einem vereinfachten Verfahren übernommen werden. Hunderte Pestizide würden neu in Schweizer Gewässer gelangen. Der Gesundheits- und Umweltstandard in der Schweiz würde laufend nach unten gesenkt.
Pestizide gefährden das Wasser
Unsere Gewässer stehen bereits jetzt wegen Pestiziden unter Druck – durch die Revision des LwG könnte sich die Situation weiter verschärfen. Bild@AlbertKrebs

Das Wichtigste in Kürze:

  • Durch die Revision des LwG müsste die Schweiz PSM-Bewilligungen aus 20 Ländern übernehmen.
  • Damit würde sich in der Schweiz der Gesundheits- und Umweltstandard aus jenem EU-Land durchsetzen, wo er am tiefsten ist.
  • Der Druck auf unser Trinkwasser und die Gewässer als Lebensraum für Tiere und Pflanzen würde weiter zunehmen.

ohneGift und 4aqua setzen sich ein für:

– Ablehnung der Revision des LwG

– gezielte Auswahl von Low-Risk Pestiziden aus EU-Staaten zum Schutz unseres Wassers

– Förderung einer Landwirtschaft, die resilient gegenüber Schadorganismen ist

Muss die Schweiz bald Pflanzenschutzmittel-Bewilligungen aus 20 EU-Ländern übernehmen?

Unter dem vielversprechenden Titel «Modernen Pflanzenschutz in der Schweiz ermöglichen» sollen mit einer Revision des LwG,  PSM aus den Nachbarländern (F, D, AT, I), Belgien und den Niederlanden «vereinfacht» bewilligt werden. Mit dem vereinfachten Verfahren wäre gewollt und zwangsläufig eine Verschlechterung der Gesundheits- und Umweltprüfung verbunden. Weil in den genannten Ländern auch noch «zonale Bewilligungen» aus ganz Mittel- und Südeuropa anerkannt sind, könnten über diese LwG-Revision PSM aus 20 EU-Ländern in der Schweiz verkauft werden.

Damit droht, dass in der Schweiz europaweit bald am meisten Pestizide zugelassen sind. Auf Schweizer Lebensmitteln und im Trinkwasser könnte künftig der europaweit umfassendste Pestizidcocktail gemessen werden.

Race to the Bottom – Setzt sich in der Schweiz nun der tiefste Gesundheits- und Umweltstandard durch?

Nur schon in den Nachbarländern der Schweiz sind rund 50 problematische Wirkstoffe und hunderte darauf basierende PSM zugelassen. Davon werden 10 Wirkstoffe sogar als sehr problematisch eingestuft. Welche weiteren aus den Niederlanden und Belgien, einschliesslich zonaler Zulassungen, dazu kommen, ist unbekannt.

Über den Mechanismus der zonalen Zulassung könnten Pestizidhändler in der Schweiz künftig wahlweise PSM-Bewilligungen aus 20 EU-Länder anmelden. Und sie würden dabei naheliegend jene auswählen, welche die geringsten Auflagen zum Umwelt- und Gesundheitsschutz beinhalten. Denn damit könnten sie am meisten Pestizide verkaufen. Der Gesundheits- und Umweltstandard würde in der Schweiz damit laufend nach unten gesenkt.

Dabei ist die Kritik am zonalen Zulassungsverfahren nichts Neues. Das deutsche Umweltbundesamt schreibt beispielsweise:

«Das zonale Zulassungsverfahren birgt die Gefahr, dass Schutzstandards immer weiter abgesenkt werden. Bei der Aufteilung der EU-Staaten in Zonen wird unterstellt, dass Länder derselben Zone sehr ähnliche klimatische, ökologische und landwirtschaftliche Bedingungen haben. Dies trifft nur bedingt zu, insbesondere für die zentrale Zone, zu der auch Deutschland gehört.»

Da die Schweiz Bewilligungen nicht wie die anderen EU-Länder aus nur einer, sondern gleich aus zwei EU-Zonen (Mitte und Süden) übernehmen müsste, kumulierte sich die Problematik sogar.

Die Gesundheits-und Umweltprüfung von PSM darf nicht ins Ausland delegiert werden

Die Revision des LwG sieht für die Zulassungsprüfung ausserdem von PSM eine Beschränkung der Verfahrensdauer vor. Was heute im Rahmen von 3 bis 6 Jahren geprüft wird, müsste neu innerhalb von 12 Monaten erfolgen. Prüfungen wären auch aus diesem Grund nur noch oberflächlich möglich. Die zahlreichen Verunreinigungen von Grund- und Trinkwasser (z.B. mit Abbauprodukten von Chloridazon, Chlorothalonil, S-Metolachlor) zeigen, dass die Prüfung schon bislang nicht sorgfältig genug erfolgt.

Gerade das jüngste Beispiel der Verschmutzung von Böden, Wasser und Lebensmittel mit per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) und Folgekosten in Milliardenhöhe, zeigt, wie wichtig und schwierig es ist, Risiken frühzeitig zu erkennen. Im Gegensatz dazu würde die Schweiz mit dem vereinfachten Zulassungsverfahren darauf vertrauen, dass die Behörden in den Ländern, aus denen die PSM-Bewilligungen übernommen werden, eine gründliche Prüfung vornehmen. Die Schweiz delegiert damit die Verantwortung für unsere Gesundheit und unsere Gewässer an Behörden im Ausland. Entstehen aber aus einer unsorgfältigen Prüfung im Ausland Schadenskosten in der Schweiz, müssten diese von der Schweiz allein getragen werden.

Umkehr der Beweislast

Dazu kommt: Die automatische Übernahme von Wirkstoffen bedeutet, dass die Schweiz einen besonderen Nachweis erbringen müsste, um eine Nichtgenehmigung zu belegen (Art. 160a Abs. 3 nLwG). Heute muss der Gesuchsteller (z.B. die Pestizidhändler) diesen Nachweis erbringen. Mit anderen Worten: Es findet eine gefährliche Beweislastumkehr zulasten der Zulassungsbehörde statt. Die Zulassungsbehörde gerät durch diese Regelung in die Defensive und die Umsetzung des Vorsorgeprinzips (Art. 1 Abs. 2 USG) wird hintertrieben.

Weshalb die Revision die bestehenden Probleme nicht löst und was echter «moderner Pflanzenschutz» ist

Für die verlangte Revision des Landwirtschaftsgesetzes wurde keine Analyse der bestehenden Situation durchgeführt. Begründet wird die Revision nur damit, die heutigen Bewilligungsverfahren würden zu lange dauern. Deshalb fehlten der Landwirtschaft wirksame Mittel gegen Schadorganismen. Tatsächlich sind derzeit rund 700 Bewilligungsgesuche für PSM hängig. Es fehlen in den Unterlagen zur Vernehmlassung aber jegliche Angaben dazu, warum es zu dieser Situation gekommen ist (bspw. vom Parlament verweigerte Personalaufstockung bei Zulassungsbehörden). Ebenso wenig wurde geklärt, in welchen Kulturen die Landwirtschaft auf zusätzliche PSM angewiesen ist und welche Gesundheits- und Umweltfolgen entstehen, falls diese Mittel breitflächig angewendet werden. Damit fehlt es auch an der für neue Rechtsnormen nötigen Regulierungsfolgeabschätzung (RFA). Diese beinhaltet namentlich auch «die Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft (Ziff. 3.1)[1].

Der Verein ohneGift lehnt diese Revision des LwG entschieden ab. Das Prozedere, welches die Revision vorsieht, hat nichts mit modernem Pflanzenschutz zu tun und verfehlt die Bedürfnisse der Schweizer Bevölkerung, da sie die Gesundheit der Menschen, die Qualität des Trinkwassers und der Biodiversität gefährdet.

Der Verein ohneGift setzt sich dafür ein, dass das BLV zusammen mit dem BAFU, BLW, SECO und den interessierten Kreisen (Umwelt, Landwirtschaft) aus der Palette der bislang nicht in der Schweiz zugelassenen EU-PSM gezielt die Low-Risk-Pflanzenschutzmittel auswählt. Ein solches Vorgehen ist einem vereinfachten Zulassungsverfahren, in dem Pestizidbewilligungen mit der Giesskanne erteilt werden, vorzuziehen.

Wichtig ist zudem, dass der Bund und die Kantone eine Landwirtschaft fördern, die resilient gegenüber Schadorganismen ist und keine schädlichen PSM benötigt.

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[1]            Richtlinien des Bundesrates für die Regulierungsfolgenabschätzung bei Rechtsetzungsvorhaben des Bundes (RFA-Richtlinien, siehe: https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/wirtschaftslage—wirtschaftspolitik/wirtschaftspolitik/regulierung/regulierungsfolgenabschaetzung.html

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