Klimakrise – Bestäubungskrise? Wie die Erderwärmung die Bestäubung gefährdet – Teil 2

Der Klimawandel hat auch indirekte Auswirkungen auf Lebewesen und Ökosysteme. So kann er beispielsweise die Ausbreitung und Ansiedlung von neuen Arten in der Schweiz fördern. Was bedeutet das für die bestehenden Bestäubungssysteme?
Asiatische Hornisse
Abbildung 1: Die Asiatische Hornisse (Vespa vetulina) ist eine mögliche Gefährdung für die Bestäubung.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der Klimawandel begünstigt die Ansiedlung von neuen Insekten- und Pflanzenarten in der Schweiz. Sie können die vorhandenen Arten konkurrenzieren und verdrängen und so die Bestäubung gefährden.
  • Die Folgen des Klimawandels können zu mehr Pestiziden in der Landwirtschaft führen, was die Bestäuberinsekten zusätzlich bedroht.
  • Mehr Pestizide bedeuten mehr Giftstoffe – auf Nahrungsmitteln, in Luft und (Trink)wasser –, die auch für uns Menschen potenziell schädlich sind.

Der Verein ohneGift fordert:

Angesichts des Klimawandels werden Massnahmen zum Schutz und zur Förderung von Bestäuberinsekten noch dringlicher. Ausreichende Biodiversitätsflächen müssen flächendeckend eingerichtet werden, besonders auch auf Ackerland. Pestizide müssen sorgfältig, gezielt und in deutlich kleineren Wirkstoffmengen ausgebracht werden.

Im ersten Teil haben wir uns die unmittelbaren Auswirkungen der Erderwärmung auf die Bestäuberinsekten und ihre Blütenpflanzen angesehen. Beispielsweise dass sich Bestäuber und Pflanzen nicht mehr finden, weil sie bei wärmeren Temperaturen nicht an die gleichen Orte ausweichen oder nicht gleich schnell wandern. Doch auch indirekt kann der Klimawandel die Bestäubung stören: durch die Förderung invasiver Arten, die Verdrängung vorhandener Arten sowie durch einen erhöhten Pestizideinsatz (Abbildung 2).

schematische Darstellung, wie sich der Klimawandel indirekt auf Bestäuberinsekten und ihre Blütenpflanzen auswirkt
Abbildung 2: Gestörte Bestäubung als indirekte Folge der Erderwärmung. Gelb steht für angepasste Insektenarten, rosa für vorhandene Pflanzenarten. Eigene Darstellung.

Invasive Neophyten können vorhandene Arten verdrängen

Werden Neophyten, d.h. neue Pflanzenarten, in die Schweiz gebracht, können sie sich je nach den lokalen klimatischen, geologischen und biologischen Bedingungen hier ansiedeln (rechte Seite Abbildung 2). Wenn die neuen Arten sich stark ausbreiten und somit invasiven Charakter zeigen (siehe orange Box «Invasive Neophyten und Neozoen»), kann das zum Problem für die vorhandenen Ökosysteme werden.

Der Klimawandel begünstigt die Ansiedlung und Ausbreitung von neuen Arten, die besser mit wechselnden Umweltbedingungen umgehen können.[1]  Ausserdem bieten wärmere Temperaturen Lebensräume für Arten, die ursprünglich aus wärmeren Gebieten kommen.[2] Die globale Durchschnittstemperatur hat seit der vorindustriellen Zeit (1871-1900) um 1,3 °C zugenommen; in der Schweiz beträgt der Temperaturanstieg sogar 2,8 °C.[3] Deswegen wird in den kommenden Jahren eine weitere Zunahme von invasiven Neophyten erwartet.[4]

Studien[5] haben gezeigt, dass invasive Neophyten vorhandene Pflanzenarten verdrängen und die Blütenvielfalt reduzieren können. Zwar kann das Blütenangebot durch die invasiven Arten vorübergehend erweitert werden, jedoch können im saisonalen Jahresverlauf verdrängte wichtige Blütenressourcen fehlen.

Mögliche positive Effekte eines vorübergehend erhöhten Blütenangebots sind artspezifisch, d.h. gewisse Insektengruppen (z.B. Schwebfliegen, Honigbienen) profitieren mehr als andere (z.B. Wildbienen). Ausserdem haben Pollen und Nektar von Neophyten häufig eine andere Qualität als die vorhandene Flora, sodass Bestäuberinsekten eine verminderte Gesundheit und ein gestörtes Verhalten zeigen können, wenn sie sich von Neophyten ernähren.[6]

Gleichzeitig tragen die Bestäuberinsekten ihrerseits dazu bei, dass sich invasive Pflanzenarten weiter ausbreiten. So haben beispielsweise Hummeln die Ausbreitung des Drüsigen Springkrauts (Impatiens glandulifera), ein invasiver Neophyt aus dem Himalaya,[7] deutlich begünstigt.[6] Zusammenfassend betrachtet, ist die Wirkung von invasiven Pflanzen auf die Bestäubung komplex, und es sind sowohl positive als auch negative Effekte zu erwarten.

Invasive Neophyten und Neozoen

Neophyt («neos» (griech.) = neu, «phyton» (griech.) = Pflanze): Eine Pflanze, die nach 1492 (Entdeckung Amerikas) neu in einem Ökosystem vorkommt und ohne menschliche Hilfe überleben kann.[8]
Neozoon («neos» (griech.) = neu, «zoon» (griech.) = Tier): Ein Tier, das nach 1492 (Entdeckung Amerikas) eingeführt wurde und ohne menschliche Hilfe überleben kann.[9]
Invasiv = Ein invasiver Organismus breitet sich schnell aus und hat ein grosses Schadenspotential. Sowohl neue als auch einheimische (schon länger vorhandene) Arten können invasiv sein.8

Invasive Neophyten in Zahlen: Für die Schweiz sind rund 56’000 Pflanzen-, Tier- und Pilzarten nachgewiesen.[10] Von geschätzten 4’000 Pflanzenarten sind 750 Neophyten und davon wiederum gelten 88 als invasive Neophyten.8 Rund 90 Prozent der Neophyten sind in unsere Umwelt integriert und bereichern die Flora (z.B. die Rosskastanie oder das Kleine Springkraut).[11]

Invasive neue Insekten können vorhandene Arten konkurrenzieren und verdrängen

Wie bei den Pflanzen werden auch bei den Insekten mehr neue Arten erwartet, begünstigt durch den Klimawandel.[12] Dabei können neue Insekten die Bestäubung auf zwei Arten gefährden (Mitte Abbildung 2): Einerseits können neue Insektenarten Neophyten bestäuben, so zu ihrer Ausbreitung beitragen und damit vorhandene Pflanzenarten verdrängen. Andererseits konkurrenzieren oder verdrängen neue Insekten die vorhandenen Bestäuber.[13] Dabei ist die Effizienz von Blütenbesuchen bei neuen Bestäuberinsekten geringer, dafür werden Blüten öfters besucht.[14]

Ein Beispiel für Konkurrenz und Verdrängung sind Honigbienenarten, die bewusst gezüchtet und absichtlich ausgebracht wurden. Dadurch gibt es in der Schweiz immer weniger von der früher verbreiteten Dunklen Honigbiene (Apis mellifera mellifera). Hinzu kommt, dass die Dunkle Honigbiene sich mit den gezüchteten und eingeführten Arten paaren kann, wodurch gemischte und nicht gut angepasste Genome entstehen können.[15]

Ein anderes Beispiel ist die asiatische Hornisse (Vespa vetulina, siehe Abbildung 1). Die Asiatische Hornisse kommt ursprünglich aus Südostasien und jagt diverse Bestäuberinsekten für die Ernährung der Larven, darunter Honigbienen, Wildbienen, Wespen, Fliegen und Schmetterlinge.[16] Durch die räuberischen Aktivitäten der Asiatischen Hornisse leiden die bestehenden Bestäubersysteme. Beobachtet wurden weniger häufige Blütenbesuche und kleiner werdende Bestäuberpopulationen in Anwesenheit der Asiatischen Hornisse. [17] Zwar ist die Asiatische Hornisse auch ein Bestäuber, jedoch ist ihre Bestäubungsleistung niedriger im Vergleich zu den Arten, die sie verdrängt. [18] Um genaue Bestäubungsprognosen zu machen, braucht es weitere Untersuchungen. Die bisherigen Erkenntnisse lassen jedoch darauf schliessen, dass die Bestäubung unter der weiteren Ausbreitung der Asiatischen Hornisse leiden wird.

Mehr Pestizide als Folge des Klimawandels

Dürren, Starkniederschläge und andere Extremwetterereignisse erhöhen die Ertragsrisiken in der Landwirtschaft, was tendenziell zu einem erhöhten Pestizideinsatz führt (linke Seite Abbildung 2). Viele Pestizide sind jedoch hochgiftig für Bestäuberinsekten[19], weswegen ein erhöhter Einsatz Bestäuberpopulationen gefährdet. Doch wieso genau wird ein erhöhter Pestizideinsatz erwartet?[20]

  • Pestizide verflüchtigen sich schneller bei höheren Temperaturen. Mehr Abdrift in die Umwelt kann den Einsatz erhöhen, um die Verluste zu kompensieren.
  • Auch im Boden führen erhöhte Temperaturen zu einem schnelleren Abbau der Chemikalien. Die kürzere Wirkungszeit könnte mit einem erhöhten Einsatz kompensiert werden.
  • Häufigere Starkniederschläge waschen Pestizide vermehrt aus und sie gelangen in umliegende Ökosysteme, die nicht Ziel der Anwendung waren.
  • Pestizide, insbesondere Insektizide, werden als Antwort auf den zunehmenden Druck durch Schadorganismen häufiger eingesetzt. Es gibt mehrere Gründe, weshalb Schadorganismen in der Landwirtschaft in Zukunft zunehmen werden:
    • Höhere Temperaturen fördern eine schnellere Entwicklung und führen somit zu mehr Insektengenerationen pro Jahr.
    • Wärmere Bedingungen regen den Stoffwechsel (Metabolismus) an. Dadurch müssen die Insekten mehr fressen und es entstehen grössere Schäden an den Kulturpflanzen.
    • Mildere Winter senken die Sterberate der Insekten im Winter.
    • Der Klimawandel begünstigt die Ansiedlung von neuen Arten, darunter auch solche, die landwirtschaftliche Kulturen schädigen können (Beispiel Japankäfer).
    • Der Klimawandel kann die Pflanzenabwehr schwächen. Sie werden anfälliger auf Krankheiten und Schädlingsbefall.

Mehr Pestizide bedeuten nicht zuletzt mehr Giftstoffe – auf Nahrungsmitteln, in Luft und (Trink)wasser –, die auch für uns Menschen potenziell schädlich sind.

Fazit

  • Auch wenn Prognosen schwierig sind, da die Bestäubungssysteme komplex sind und es viele Einflussfaktoren gibt, ist zu befürchten, dass die Bestäubung durch indirekte Folgen des Klimawandels zusätzlich bedroht ist.
  • Zu den indirekten Folgen gehören die Konkurrenz und Verdrängung vorhandener Arten durch invasive Neophyten und Neozoen sowie ein erhöhter Pestizideinsatz.
  • Um die Bestäubung sicherzustellen, werden Massnahmen zum Schutz und zur Förderung von Bestäuberinsekten noch dringlicher. Ausreichende Biodiversitätsflächen müssen flächendeckend eingerichtet werden, besonders auch auf Ackerland. Pestizide müssen sorgfältig, gezielt und in deutlich kleineren Wirkstoffmengen ausgebracht werden.

[1] Turbelin & Catford (2021): Chapter 25 – Invasive plants and climate change.

[2] Essl et al. (2020): Drivers of future alien species impacts: An expert-based assessment.

[3] MetoSchweiz: Klimawandel. (6.11.2024)

[4] Seebens et al. (2020): Projecting the continental accumulation of alien species through to 2050.

[5] Z.B. Kovács-Hostyánszki et al. (2022): Threats and benefits of invasive alien plant species on pollinators. oder Morales et al. (2017). Disruption of Pollination Services by Invasive Pollinator Species.

[6] Stout & Tiedeken (2017): Direct interactions between invasive plants and native pollinators: evidence, impacts and approaches.

[7] Info Flora (2022): Liste der invasiven gebietsfremden Arten. Drüsiges Springkraut (Springkrautgewächse).

[8] Info Flora: Invasive Neophyten. (27.10.2024)

[9] Info Fauna: Neozoa (gebietsfremde Tierarten). (27.10.2024)

[10] BAFU (2023): Artenvielfalt in der Schweiz. (05.11.2024)

[11] Neophyt.ch (2023): Invasive Neophyten. (05.11.2024)

[12] Am Beispiel der Asiatische Hornisse: Barbet-Massin et al. (2013): Climate change increases the risk of invasion by the Yellow-legged hornet.

[13] Kremen & Ricketts (2000): Global Perspectives on Pollination Disruptions.

[14] Debnam et al (2021): Exotic insect pollinators and native pollination systems.

[15] Parejo, Dietemann & Praz (2021): Der Status freilebender Völker der Dunklen Honigbiene (Apis mellifera mellifera) in der Schweiz – Literatursynthese und Expertenempfehlungen. Endbericht.

[16] Arbeitsgruppe Asiatische Hornisse (2024): Asiatische Hornisse (Vespa velutina) Empfehlungen.

[17] Rojas-Nossa & Calvino-Cancela (2020): The invasive hornet Vespa velutina affects pollination of a wild plant through changes in abundance and behaviour of floral visitors. und Chen et al (2019): The flip side of the coin: ecological function of the bee-hawking Asian hornet.

[18] Rojas-Nossa et al (2023): Predator and pollinator? An invasive hornet alters the pollination dynamics of a native plant.

[19] Reshi et al. (2024): Pesticide Pollution: Potential Risk to Insect Pollinators and Possible Management Strategies.

[20] Pesticide Action Network UK (2023): Pesticides and the Climate Crisis: A Vicious Cycle.

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