Der Verein ohneGift fordert:
Mit dem Aktionsplan müssen die notwendigen Massnahmen zur Bekämpfung des Insektensterbens aufgenommen und umsetzt werden. Dafür sind die nötigen finanziellen und personelle Ressourcen bereitzustellen. Der Schutz der Bestäuberinsekten muss im Rahmen von Vernetzungsprojekten hoch gewichtet werden.
Immer weniger vernetzte Lebensräume in der Schweiz
Der wachsende Druck auf die Landnutzung wirkt sich auch auf die Bestäuberinsekten in der Schweiz aus. Mit zunehmendem Einfluss des Menschen auf die natürliche Umwelt fördern wir die Zerstückelung («Fragmentation») der natürlichen Lebensräume («Habitate»).[1] Aus diesem Grund ist die Vernetzung von Habitaten eine Voraussetzung für den Erhalt der Biodiversität von Bestäuberinsekten.[2] Neben Tag- und Nachtfalter, Wespen, Fliegen (vor allem Schwebfliegen), Käfer und Ameisen spielen Bienen (Honig- und Wildbienen) die grösste Rolle in der Bestäubung. Besonders die Rolle der Wildbiene wurde im Gegensatz zur Honigbiene lange unterschätzt. Sie sichert die Bestäubung von Pflanzen, die von Honigbienen entweder gemieden oder nur unzureichend bestäubt werden.[3] In diesem Artikel wird daher besonderen Fokus auf die Wildbiene als Bestäuberin gelegt.
Der Verlust blütenreicher Lebensräume in tieferen und mittleren Lagen hat Bestäuberinsekten grossflächig ihre Nahrungsgrundlage entzogen. Intensive Landnutzung, Flächenzusammenlegungen, Meliorationen (Bodenverbesserungsmassnahme zur Steigerung der landwirtschaftlichen Ertragsfähigkeit) und die Aufgabe von Randstandorten mit geringem Ertrag haben zu einem Verlust von Kleinstrukturen geführt – genau die Orte, die Wildbienen für Nahrung und Nistplätze benötigen. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass blütenreiche Lebensräume und Kleinstrukturen zerstückelt und voneinander isoliert sind. Für Wildbienen bedeutet das, dass die Distanzen zwischen Nahrungs- und Nistplätzen immer grösser werden. Heute findet man artenreiche Wildbienengemeinschaften fast nur noch auf speziellen Standorten wie Trockenwiesen, Auen und Kiesgruben, wo jedoch ein hohes Risiko für das Aussterben spezialisierter Arten besteht.[4] Die nachfolgenden Beispiele untermauern diese Entwicklung: Rund die Hälfte der beinahe 600 Wildbienenarten leben in Trockenwiesen und Weiden.[5] Ein Lebensraum, welcher in seiner Qualität und seiner Vernetzung in der Schweiz heute ungenügend ist – denn ganze 20% der Trockenwiesen- und weiden unterliegen einem Sanierungsbedarf. Auch Auen bieten einen guten Lebensraum für Bienen – 90% aller Auenflächen sind verschwunden und 30% der heute noch bestehenden Flächen sind schlecht vernetzt und daher sanierungsbedürftig.[6]
Aktionsplan Biodiversität
Wegen unverbindlicher und unzureichender Massnahmen verfehlte der Aktionsplan Biodiversität Phase 1 (2017 – 2024) sein Ziel, die Biodiversität zu sichern.[7] Mit dem kommenden Jahr startet die zweite Phase des Aktionsplan Biodiversität 2025 – 2030. Naturschutzorganisationen wie BirdLife Schweiz, ProNatura und WWF Schweiz sind sich einig, dass auch der neue Aktionsplan unvollständig ist und überarbeitet werden muss.
Der Aktionsplan Biodiversität basiert auf gesetzlichen Grundlagen, die dem Schutz von gefährdeten Tieren und Lebensräumen dienen, sowie auf der Strategie Biodiversität, welche dafür konkrete Ziele festlegt. Diese Ziele wurden bis heute nicht erreicht.
Griffige Maßnahmen müssen mit ausreichender Finanzierung unterstützt werden, um die Biodiversitätsziele zu erreichen.[8]
Was ist Vernetzung?
Vernetzungsstrukturen sind Verbindungswege zwischen bereits bestehenden natürlichen und naturnahen Lebensräumen und dienen dem Erhalt von Tier- und Pflanzenarten. Wichtige Lebensräume in der Kulturlandschaft sind zwischen intensiv genutzten Kulturflächen häufig isoliert. Dies verhindert die Verbreitung und oftmals das Überleben von verschiedenen Arten. Die Vernetzung von Lebensräumen stellt vor allem drei Funktionen sicher:
- Lebensnotwendige Bedürfnisse: Nischen für Fortpflanzung, Nahrung, Deckung, Schlafplätze, usw.
- Saisonale Migration: Wanderung von einer Lebensstation zur Nächsten (z.B. Wanderung von Amphibien zwischen Laichgebiet und Winterquartier)
- Dispersion: Abwanderung und Besiedelung neuer Gebiete. Dadurch werden die genetische Diversität gefördert und neue Populationen durchmischt. Ein langfristiges Überleben verschiedener Arten kann sichergestellt werden.[9]
Konsequenzen schlechter Vernetzung
Lebensraumisolation ist neben weiteren Gründen eine Ursache, weshalb unter anderem Wildbienepopulationen in der Schweiz stetig abnehmen (siehe Infobox «Bestäuberkrise – Rückgang der Bestäuberinsekten»).
Wildbienen sind auf vielfältige und artenreiche Lebensräume angewiesen. Für die Fortpflanzung benötigen sie je nach Art eine Vielzahl an Kleinstrukturen, wie zum Beispiel Totholz, markhaltige Pflanzenstängel, offene Bodenstellen, Sand oder Stein- und Felsstrukturen in besonnter Lage. Ihre hauptsächliche Nahrungsquelle finden Wildbienen in verschiedenen Blütepflanzen.[10] Für den Fortpflanzungserfolg sind entsprechend geringe Distanzen zwischen Nest und Nahrungspflanzen entscheidend: Maximal 100 Meter für kleine Arten und maximal 300 Meter für grosse Arten.[4] Bei einer Isolierung der beiden Hauptlebensräume schaffen Vernetzungsstrukturen Abhilfe.
Dass Bestäuberinsekten auf Vernetzungsstrukturen angewiesen sind, lässt sich auch mit der Genetik einer Population erklären. Ist ein Lebensraum isoliert, wird der Austausch von genetischem Material zwischen verschiedenen Populationen verunmöglicht, was zu einem alarmierenden Rückgang der genetischen Vielfalt innerhalb einer Population führen kann.[11] Diese Vielfalt ist jedoch entscheidend für das Überleben und die Anpassungsfähigkeit einer Population. Fehlt der regelmässige Genaustausch, steigt das Risiko von Inzucht, und die Population wird weniger anpassungsfähig gegenüber Umweltveränderungen.[12] Wenn Individuen aus anderen Populationen einwandern, kann der Genpool bereichert werden, was das Risiko des Aussterbens deutlich verringert.[13]
Zudem kann es in einer Population schnell vorkommen, dass einzelne Individuen verschwinden oder sterben. Bei isolierten Lebensräumen – in denen keine neuen Individuen einwandern – kann dies mit dem Verlust der Stabilität der Sozialstruktur einhergehen und im schlimmsten Fall zum Zusammenbruch der Population oder zu Kaskaden von Aussterbeereignissen führen.[13], [14], [15]
All diese Risiken können mit einer besseren Vernetzung zwischen passenden Lebensräume innerhalb der Kulturlandschaft verringert oder gar vermieden werden.
Bestäuberkrise – Rückgang der Bestäuberinsekten
Wie bereits in früheren Blogartikel thematisiert (Neue Rote Liste der Bienen – ein Warnzeichen und Bestäuberinsekten – gefährdete kleine Helden), stehen Bestäuberinsekten in der Schweiz stark unter Druck. In den letzten Jahren wurde ein alarmierender Rückgang aller Bestäuberarten festgestellt. Fast die Hälfte der Bienenarten in der Schweiz sind gefährdet, ganze 10 % sind bereits ausgestorben.[4]
Vernetzungsstrukturen – Wie sie aussehen und worauf zu achten ist
Je nachdem welche Wildbienenart durch ein Vernetzungsprojekt gefördert werden soll, sehen Vernetzungsstrukturen unterschiedlich aus. Generell können diverse Elemente eine vernetzende Funktion haben, beispielsweise Tümpel, Wassergräben, Steinhaufen, Trockenmauern, Ruderalflächen, offene Bodenstellen, Asthaufen, Holzbeigen, Bäume mit hohem Totholzanteil oder Dornenbüsche.[16]
Im Falle eines isolierten Wildbienenhabitats – wenn die Distanz zwischen Nist- und Nahrungsort höher als 100 – 300 m betragen – können für die Vernetzung einfach weitere Flächen mit Nist- und Nahrungsmöglichkeiten angelegt werden, damit die Distanz zwischen den Habitaten geringer wird. Blühstreifen entlang von Feldern, Hecken oder Waldrändern (Abbildung 1) und extensive artenreiche Wiesen und Weiden (Abbildung 2) können durch die Erhöhung der Blütenvielfalt und -menge eine fördernde und vernetzende Wirkung auf Bienen haben. Auch kleinstrukturreiche Lebensräumen können vernetzend wirken. Dazu gehören beispielsweise Totholzstrukturen (Abbildung 3), offene Bodenstellen (Abbildung 4) oder ungemähte Flächen mit Altvegetation. Diese Kleinstrukturen sollten optimalerweise gut besonnt sein.[17]
Fazit
- Vernetzungsstrukturen sind essenziell, um isolierte Lebensräume miteinander zu verbinden. Sie ermöglichen Bestäuberinsekten, sich freier zu bewegen, und fördern die genetische Vielfalt sowie die Stabilität von Populationen
- Bestäuberinsekten, insbesondere Wildbienen, benötigen vielfältige Lebensräume mit blütenreiche Flächen und Kleinstrukturen, damit sie ihre Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme sicherzustellen können
- Es ist notwendig, in Projekte zu investieren, die die Vernetzung von Lebensräumen fördern, um die Biodiversität und das Überleben von Bestäuberinsekten zu sichern. Dies ist entscheidend, um die Herausforderungen der Fragmentierung zu bewältigen
[1] Ewers RM & Didham RK (2007): The effect of fragment shape and species` sensitivity to habitat edges on animal population size.
[2] Hanski & Ovaskinen (2000): The metapopulation capacity of a fragmented landscape.
[3] Bienenfachstelle Kanton Zürich (2024): Bedeutung für Mensch und Umwelt
[4] BAFU (2024): Rote Liste der Biene
[5] BAFU (2010): Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung
[6] BAFU (2023): Biotope von nationaler Bedeutung
[7] Birdlife (2024). Aktionsplan Biodiversität
[8] ProNatura (2024). Versprechen jetzt halten: Bundesrat muss Aktionsplan Biodiversität überarbeiten
[9] AGRIDEA (2020): Vernetzungsprojekte
[10] Bienefachstelle Kanton Zürich (2023): Nahrungskonkurrenz zwischen Honig- und Wildbiene.
[11] Jangjoo et al. (2016): Connectivity rescues genetic diversity after a demographic bottleneck in a butterfly population network
[12] Hufbauer et al. (2015): Three types of rescue can avert extinction in a changing environment
[13] Gao, Barzel & Barabási (2016): Universal resilience patterns in complex networks
[14] Lever et al. (2014): The sudden collapse of pollinator communities
[15] Olesen et al. (2007): The modularity of pollination networks
[16] Amt für Landschaft und Natur, Kanton Zürich (2021): Anforderungen an Strukturen
[17] FiBL (2016): Wildbienen und Bestäubung – Faktenblatt