Amphibien – vernachlässigt bei der Risikoprüfung von Pestiziden 

Rund 80 Prozent der Amphibienarten in der Schweiz und der EU gelten als gefährdet – sie stehen auf der Roten Liste. Ein unterschätzter, aber bedeutender Grund sind Pflanzenschutzmittel.
Frösche- und andere Amphibienarten sind im Wasser und auf dem Land schädlichen Pestiziden ausgesetzt. Europäischer Laubfrosch (Hyla arborea). Bild: @Reinhard, Hans R.
Frösche- und andere Amphibienarten sind im Wasser und auf dem Land schädlichen Pestiziden ausgesetzt. Europäischer Laubfrosch (Hyla arborea). Bild: @Reinhard, Hans R.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Amphibien leben im Wasser und auf dem Land und kommen an beiden Orten mit Pestiziden in Kontakt.
  • Obwohl sich Amphibien damit deutlich von Fischen, die nur im Wasser leben, unterscheiden, werden sie bei der Risikobewertung von Pestiziden nicht separat geprüft – ihre Empfindlichkeit wird mit der von Fischen gleichgesetzt.
  • Amphibien können nachweislich empfindlicher auf Pestizide reagieren als Fische – besonders wenn sie auf dem Land unterwegs sind.
  • Seit über zehn Jahren werden EU-weite Schutzrichtlinien verzögert, durch die Chemielobby und weil der politische Wille fehlt.

Der Verein ohneGift fordert:

Amphibien müssen bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und anderen Pestiziden als separate Risikogruppe aufgenommen werden. Die EU und die Schweiz müssen handeln, um Amphibien wirksam zu schützen.

Im Wasser und auf dem Land zuhause

Zur Klasse der Amphibien (dt. Lurche) gehören Frösche, Kröten, Molche und Salamander.[1] Amphibien sind im Wasser (aquatische Lebensräume) und auf dem Land (terrestrische Lebensräume) zuhause. Die individuelle Entwicklung verläuft in zwei Lebensphasen, daher ihr Name (griechisch: amphi-bios = doppellebig). Amphibien machen eine sogenannte Metamorphose durch, bekannt ist sie bei Fröschen: Die Elterntiere legen die Eier im Wasser ab, daraus schlüpfen kiemenatmende Kaulquappen, die sich zu lungenatmenden Fröschen entwickeln (Metamorphose). Auch als erwachsene Tiere brauchen Amphibien Lebensräume mit einer hohen Luftfeuchtigkeit.

Amphibien gehören zu den am stärksten gefährdeten Tieren in der Schweiz, 15 von 19 Arten stehen auf der Roten Liste.[2] Eine Art ist in der Schweiz ausgestorben, sechs Arten sind stark gefährdet und acht verletzlich. Die Ursachen reichen von Lebensraumverlust über den Klimawandel bis hin zu Krankheiten und giftigen Stoffen.[2] Unterschätzt wird die Gefährdung durch Pflanzenschutzmittel (PSM), die in Gewässer und Böden gelangen und die Tiere dort in ihrer Entwicklung stören, ihr Verhalten ändern oder sie töten können.[3]

Keine Risikoprüfung für Amphibien

Trotz ihrer Gefährdung durch PSM werden Amphibien bei der Pestizid-Zulassung ungenügend untersucht. Bei der Risikoüberprüfung wird vereinfachend angenommen, dass Amphibien mit Fischen vergleichbar sind.[4] Doch Amphibien unterscheiden sich fundamental von Fischen – in ihrer Entwicklung, Lebensweise und insbesondere, wie sie PSM und anderen Umweltgiften ausgesetzt sind (Pestizidexposition).[3] So ist die Haut von Amphibien hochdurchlässig und Schadstoffe können leichter ins Tier eindringen.[3] Hinzu kommt ihre zweiphasige Entwicklung: Larvenstadien im Wasser, gefolgt von terrestrischen Phasen als Jung- und Alttiere (siehe Infobox «Pestizidexposition in verschiedenen Lebensphasen»). Beide Phasen bergen unterschiedliche Expositionsrisiken, die in der Risikobewertung bis heute weitgehend unberücksichtigt bleiben.[9]

Pestizidexposition in verschiedenen Lebensphasen

Viele Amphibienarten laichen in Kleingewässern, oft in der Nähe landwirtschaftlich intensiv genutzter Flächen. Dort können schon Kaulquappen mit Pestiziden in Kontakt kommen. Nach der Metamorphose wandern die Tiere über Felder, durch Wiesen und entlang von Ackerrändern und stossen dort erneut auf Rückstände in Böden, Pflanzen oder Beutetieren.[3]

Weil die meisten Amphibienarten nachtaktiv sind[5], sind sie besonders gefährdet, wenn Pflanzenschutzmittel in den Abendstunden ausgebracht werden. Der direkte Kontakt mit frisch ausgetragenen Chemikalien kann zu schweren Schädigungen führen – etwa Verhaltensänderungen, Fortpflanzungsstörungen oder erhöhter Sterblichkeit.[3]

Empfindlichkeit von Amphibien gegenüber Pflanzenschutzmitteln

Die Forschung zeigt kein einheitliches Bild, wie stark Amphibien, im Vergleich zu Fischen, durch PSM und andere Pestizide gefährdet sind: 

  • Einige Studien[6],[7] kommen zum Schluss, dass Amphibien nicht empfindlicher sind als Fische und dass die Toxizitätswerte ähnlich sind. Bemängelt wird allerdings, dass viele dieser Studien mit dem Afrikanischen Krallenfrosch (Xenopus laevis) durchgeführt wurden – einer Art, die in der Schweiz nicht vorkommt und deren Aussagekraft für einheimische Amphibien daher begrenzt ist. Zudem sind laut einer anderen Studie einheimische Amphibien rund zehnmal empfindlicher als der afrikanische Krallenfrosch.[8] Kritisiert wird weiter, dass sich die Studien ausschliesslich auf die aquatischen Entwicklungsstadien von Amphibien konzentrieren, obwohl sie auch in ihren terrestrischen Phasen mit Pestiziden in Kontakt kommen (siehe Infobox «Pestizidexposition in verschiedenen Lebensphasen»). 
  • Andere Studien zeigen, dass Amphibien sensibler auf PSM reagieren als Fische. Beispielsweise wurde festgestellt[8], dass Amphibien im Vergleich zu Fischen häufiger überlebensbeeinträchtigende Schäden erleiden – etwa Verhaltensänderungen und Fortpflanzungsstörungen –, die langfristig die Überlebensfähigkeit von Populationen mindern. In einer weiteren Studie[9] führten Chlorpyrifos und Atrazin bei Amphibien zu toxischen Reaktionen – bei Konzentrationen, die für Fische als unbedenklich gelten. Amphibien sind aufgrund ihrer durchlässigen Haut besonders gefährdet. 

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)[3] zog insgesamt 150 wissenschaftliche Veröffentlichungen bei zum Thema Gefährdung von Amphibien durch PSM und schlussfolgerte, dass viele zugelassene Pestizide für Amphibien hochtoxisch sind. Insbesondere in der terrestrischen Lebensphase sei die heutige Risikoüberprüfung für PSM unzureichend. Zudem weist die EFSA darauf hin, dass bisherige Studien oft nur wenige Vorzeigearten unter Standardbedingungen untersucht haben. Um die Gefährdung gesichert zu überprüfen, brauche es mehr Forschung in Feldstudien unter realistischen Bedingungen. Auch das Zusammenwirken mehrerer Pestizide sollte stärker berücksichtigt werden. 

Zusammenfassend gilt, dass die Tiere je nach Art und Entwicklungsstadium unterschiedlich empfindlich sind und die geografische Herkunft und die genetische Ausstattung eine Rolle spielen. Generell sind Eier und Larven empfindlicher als erwachsene Tiere. Langzeitstudien sind wichtig, um chronische Auswirkungen zu erfassen. Zudem braucht es standardisierte Testverfahren, die speziell für Amphibien geeignet und auf ihre Gültigkeit überprüft (validiert) sind.[3]

Besonders schädliche Wirkstoffe

In einer von der EFSA[3] beigezogenen Studie wurden besonders problematische Wirkstoffe identifiziert. Atrazin (in CH seit 2012 verboten; aber erst seit 2021 Exportverbot)[10] wird mit hormonellen Störungen und geschlechtlicher Umwandlung in Verbindung gebracht. Die Fungizide Pyraclostrobin, Trifloxystrobin und Propioconazol erhöhen die Mortalität von Kaulquappen. Auch Glyphosat kann Verhalten und Überlebensrate negativ beeinflussen. Chlorpyrifos (in CH seit 2020 verboten) schädigt das Nervensystem und erhöht die Sterblichkeit bei Kaulquappen. Besonders bedenklich sind Pyrethroide – sie wirken in winzigen Mengen toxisch, vor allem wenn zusätzliche Umweltstressoren hinzukommen.

Abklärungen zu Richtlinien seit über 10 Jahren hängig

In der EU wurde die Problematik bereits 2010 erkannt – seither besteht die Absicht, eine spezifische Richtlinie zur Risikobewertung von PSM für Amphibien auszuarbeiten.[3] Doch auch zehn Jahre später ist kaum ein Fortschritt zu erkennen. 

Es gibt mehrere Gründe für diese Verzögerung. Einerseits fehlt es noch immer an standardisierten Testverfahren für Amphibien, was die Entwicklung einer einheitlichen Bewertungsgrundlage erschwert. Die EFSA stellte 2018[3] in einem umfassenden Bericht fest, dass erhebliche Wissenslücken über die Wirkung von Pestiziden auf Amphibien bestehen. Sie empfahl die Entwicklung spezifischer Schutzmassnahmen und Tests, doch konkrete Regulierungen blieben bisher aus. 

Andererseits spielt auch die chemische Industrie eine Rolle. Laut der Organisation Pesticide Action Network PAN Europe (2024)[11] versuchen Interessenverbände der Agrarchemie, bestehende Ausnahmeregelungen auszudehnen und strengere Umweltauflagen zu verzögern – etwa durch Forderungen nach zusätzlichen Abklärungen und Studien. So werden gemäss PAN Europe politische Prozesse bewusst in die Länge gezogen. 

Wie problematisch der Einfluss der Industrie sein kann, verdeutlicht beispielhaft eine Publikation aus dem Jahr 2004.[12]Laut Studienautor wurden Studien über die Wirkung des Herbizids Atrazin auf Frösche von der Industrie so angelegt, dass sie keine eindeutigen Aussagen zuliessen. Zudem gebe es einen Zusammenhang zwischen der Herkunft der Forschungsgelder und dem Studienergebnis, was das Vertrauen in industriefinanzierte Forschung zusätzlich untergrabe. 

Es mangelt offensichtlich am politischen Willen, das Thema anzugehen. 

Fazit 

Die Forschung zeigt, dass viele Amphibienarten empfindlicher auf Pflanzenschutzmittel und andere Pestizide reagieren als Fische – mit Folgen wie Entwicklungsstörungen, Verhaltensänderungen oder erhöhter Sterblichkeit. Obwohl in der EU das Problem bereits vor über 10 Jahren erkannt wurde, fehlen bis heute standardisierte Testverfahren, geeignete Regulierungen und der politische Wille zum Handeln. Nötig sind unabhängige Risikoprüfungen, die die biologischen Besonderheiten der Amphibien berücksichtigen, und es braucht wirksame Schutzmassnahmen – bevor weitere Arten irreversibel aussterben.


[1] Karch (2025): Amphibien – Nationale Koordinationsstelle Amphibien  

[2] BAFU (2023): Rote Liste der Amphibien

[3] EFSA (2018): Scientific Opinion on the state of the science on pesticide risk assessment for amphibians and reptiles

[4] Oekotoxzentrum (2015): Amphibien und Pflanzenschutzmittel – mehr Informationen sind gefragt

[5] Karch (2025): Wo und wann können Amphibien beobachtet werden?

[6] Glaberman, Kiwiet and Aubee (2019): Evaluating the role of fish as surrogates for amphibians in pesticide ecological risk assessment

[7] Weltje, Simpson, Gross, Crane and Wheeler (2013) :  Comparative acute and chronic sensitivity of fish and amphibians: a critical review of data

[8] Adams (2021): Pesticide effects on German amphibians and consequences for their risk assessment in the European Union

[9] Lenhardt (2018): Amphibians in the agricultural landscape

[10] Swissinfo (2020): Bundesrat verschärft Exportbedingungen für Pflanzenschutzmittel

[11] Pesticide Action Network Europe (2024): The EU drags its feet on addressing water pollution

[12] Hayes (2004): There is no denying this: defusing the confusion about atrazine.  

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