Deutsches Umweltbundesamt: „EU-Pestizidzulassungen hebeln Umweltschutz aus“

Mit diesen Worten bemängelt das deutsche Umweltbundesamt das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel (PSM) in der EU. Die Kritik ist auch für die Schweiz wichtig, denn mit der aktuellen Revision des Landwirtschaftsgesetzes würden die Missstände in die Schweiz importiert.
EU-Flaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel. Bild @NakNakNak von Pixabay.
EU-Flaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel. Bild @NakNakNak von Pixabay.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Das deutsche Umweltbundesamt (UBA) kritisiert das EU-Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel als umweltschädlich und wissenschaftlich veraltet.
  • Hersteller können gezielt Länder mit niedrigen Schutzstandards für die Erstbewertung wählen – nationale Behörden wie das deutsche UBA verlieren so Einfluss.
  • Die geplante Revision des Schweizer Landwirtschaftsgesetzes würde diese Schwächen übernehmen und ohne eigene Prüfung EU-Zulassungen anerkennen.

EU-Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel in Kritik

Das deutsche Umweltbundesamt (UBA) übt heftige Kritik am derzeitigen Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel (PSM) der Europäischen Union[1]. Aus Sicht des UBA untergräbt das Verfahren systematisch Umweltschutzbelange und schwächt nationale Schutzstandards.

Kernpunkte der Kritik:

  • Bindung an Erstbewertung anderer EU-Staaten:
    Die EU-Pflanzenschutzmittelverordnung sieht vor, dass ein Mitgliedstaat die Erstbewertung eines Wirkstoffs oder Produkts vornimmt. Andere Staaten – darunter Deutschland – sind dann an diese Bewertung gebunden, selbst wenn sie auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder spezifischen nationalen Umweltbedingungen beruhende Bedenken haben. Eigene nationale Bewertungen, so das UBA, sind europarechtlich kaum noch möglich, da sie dem Ziel eines harmonisierten Binnenmarktes widersprechen.
  • Absenkung des Schutzniveaus durch „Forum-Shopping“:
    Hersteller können gezielt den Mitgliedstaat für die Erstbewertung wählen, der die niedrigsten Schutzstandards anwendet. Da andere Länder die Bewertung übernehmen müssen, setzt sich europaweit der niedrigste Standard durch. In Deutschland wurden 2019/2020 nur noch 9 % der Zulassungen selbst bewertet (2011–2013: 46 %), wodurch die deutschen Behörden in über 90 % der Fälle keine eigenständige Entscheidung mehr treffen können. Dies zeigt dass die Pestizidhersteller Länder gefunden haben, die ihnen «milder» gesinnt sind.
  • Ignorieren neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse:
    Viele Zulassungen beruhen auf veralteten Daten, da Wiederzulassungen auf EU-Ebene oft jahrelang verzögert werden. Neue Studien und Messdaten aus Deutschland dürfen laut aktueller Rechtsprechung nicht berücksichtigt werden, wenn sie nicht bereits vom erstbewertenden Staat verwendet wurden – selbst wenn diese Daten gravierende Risiken für Umwelt und Gesundheit belegen.

  • Fehlende Bewertungsmethoden und Bewertungslücken:
    Neue wissenschaftliche Erkenntnisse können erst dann in die Risikobewertung einfliessen, wenn eine EU-weit abgestimmte Bewertungsmethode existiert. Für zentrale Umweltaspekte wie Auswirkungen auf das Nahrungsnetz und die Biodiversität fehlen solche Methoden oft jahrelang. Das UBA sieht sich daher ausserstande, seinen gesetzlichen Auftrag zur umfassenden Umweltbewertung zu erfüllen.

  • Konkrete Umweltprobleme in Deutschland:
    Beispiele wie die Herbizide Flufenacet und S-Metolachlor zeigen, dass deren Abbauprodukte bereits jetzt Schwellenwerte im Rohwasser überschreiten und die Trinkwasserversorgung gefährden. Dennoch konnten deutsche Behörden keine Auflagen zum Schutz des Grundwassers durchsetzen, da sie an die EU-weite Zulassung gebunden sind. Ähnlich problematisch ist der Schutz von Bodenorganismen wie Regenwürmern, deren Gefährdung durch bestimmte Pestizide in Deutschland nachgewiesen wurde, aber nicht zu einem nationalen Zulassungsstopp führen durfte.

  • Widerspruch zu Umwelt- und Nachhaltigkeitszielen:
    Die aktuelle Zulassungspraxis steht im Gegensatz zu politischen Programmen wie dem Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, der Farm-to-Fork-Strategie und der Zero Pollution Ambition der EU. Die Ziele zum Schutz von Umwelt und Gesundheit können so nicht erreicht werden.

Auswirkungen auf die Schweiz
Die unter dem zweifelhaften Titel «Modernen Pflanzenschutz in der Schweiz ermöglichen» vom Parlament eingeleitete Revision des Landwirtschaftsgesetzes will, dass Pestizidhändler PSM-Zulassungen aus der EU[2] ohne relevante Gesundheit- und Umweltprüfung in die Schweiz überführen können. Damit würden die in der EU herrschenden Missstände in die Schweiz importiert. Der Verein OhneGift lehnt die Revision ab. 

Fazit

Das derzeitige EU-Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel gefährdet Umwelt- und Gesundheitsschutz, da es wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert, nationale Bewertungen unterdrückt und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner setzt. Die Schweiz läuft mit der aktuellen Revision des Landwirtschaftsgesetzes Gefahr, diese Mängel unkritisch zu übernehmen. Ein eigenständiges, umweltorientiertes Prüfverfahren bleibt daher unerlässlich.


[1] Deutsches Umweltbundesamt (2025): Pestizidzulassungen hebeln Umweltschutz aus

[2] OhneGift (2024): Keine Bewilligung mit dem Giesskannenprinzip: Revision LwG

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