Die merkwürdige Reise verbotener Pestizide

Viele Pestizide, die in Europa verboten sind, werden in andere Länder exportiert. Sie schädigen dort Mensch und Natur. Über importiertes Tierfutter und Lebensmittel gelangen Rückstände zu uns zurück. Brasilien steht im Zentrum dieses Handels.
Verbotene Pestizide werden von Europa nach Brasilien exportiert. Auf Tierfutter und Lebensmitteln gelangt ein Teil zu uns zurück. Bild: pixabay @Wolfgang-1958

Das Wichtigste in Kürze:

  • In Brasilien ist der weltweit grösste Absatzmarkt für Pestizide, die in der EU und Schweiz verboten sind.
  • In Brasilien schädigen diese Pestizide Mensch und Natur.
  • Die behandelten Agrarprodukte werden nach Europa importiert, dort als Tierfutter verwendet oder als Lebensmittel verkauft.
  • Die Schweiz und Europa stehen mehrfach in der Verantwortung: Durch den Export von in der Schweiz verbotenen Pestiziden und den Import von mit diesen Pestiziden behandelten Produkten, wird in Brasilien eine menschen- und umweltschädliche Landwirtschaft gestützt.

Der Verein ohneGift fordert:

Verbotene Pestizide sollen nicht in andere Länder exportiert werden. Agrarprodukte, die mit verbotenen Pestiziden oder Rückständen belastet sind, sollen nicht in die Schweiz importiert werden. 

Brasilien als Pestizidhochburg

Obwohl zahlreiche Pestizide in der EU und Schweiz wegen ihrer Schädlichkeit für Mensch und Natur verboten sind, werden diese munter ins Ausland exportiert – unter anderem nach Brasilien. Dort befindet sich der weltweit grösste Absatzmarkt für solche Substanzen.[1] Die Zahlen sprechen für sich: Brasilien verwendet jährlich 720’000 Tonnen Pestizide – das ist so viel wie China und die USA zusammen. Während der Verbrauch in Brasilien bei etwa 10.9 kg pro Hektar Kulturpflanzen liegt, sind es in den USA 2.85 kg/ha und in China 1.9 kg/ha. Als Vergleich: Die Schweiz verwendet im Durchschnitt etwa 2’000 Tonnen Pestizide auf rund 400’000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche (Ackerland, Reben, Obstgärten), was ungefähr 5 kg pro Hektar und Jahr entspricht.[2] Die tatsächliche Umweltbelastung hängt allerdings nicht nur von der ausgebrachten Menge ab: Auch die jeweilige Giftigkeit der Stoffe muss angeschaut werden. Der Verein ohneGift zeigt anhand von 16 Wirkstoffen die in Brasilien immer noch verwendet werden, warum diese in Europa verboten wurden (Tabelle 1). 

Die 16 verbotenen Pestizide im Überblick

Als Beispiele von problematischen Herbiziden sind Diquat und Atrazin zu nennen. Die chemische Struktur von Diquat ähnelt dem seit 2020 auch in Brasilien verbotenen Paraquat[3], das nicht nur akut sehr giftig ist[4], sondern im Verdacht steht, Parkinson auszulösen und das Erbgut zu verändern.[5],[6] Auch wenn Diquat etwas weniger akut giftig ist als Paraquat, enden vier von neun Vergiftungsfällen tödlich.[7] Atrazin ist ein endokriner Disruptor und hinterlässt im Grundwasser und Trinkwasser gefährliche Abbauprodukte.[8]

Die Insektizide Chlorpyrifos und Dimethoate, beides Organophosphate, können die Entwicklung des Nervensystems bei Kindern[9],[10],[11] beeinträchtigen, sind erbgutverändernd[12] und fortpflanzungsgefährdend.[13] Namentlich Dimethoate ist auch krebserregend.[14],[15] Organophosphate (namentlich Chlorpyrifos und Acephat) können bei pränataler Exposition von schwangeren Frauen den IQ von Kindern reduzieren.[16]

Die Insektizide Imidacloprid, Thiamethoxam, Clothianidin, Thiacloprid gehören zur Gruppe der Neonicotinoide. Ähnlich wirkt Sulfoxaflor. Sie sind dafür berüchtigt, Bestäuberinsekten wie Honig- und Wildbienen[17] massiv zu schädigen. Sie gelten zudem als giftig für Vögel.[18]

Auch etliche Fungizide stehen in der Kritik[19]: Mancozeb, Carbendazim sowie die Azol-Fungizide Cyproconazol[20] und Epoxyconazol[21] sind für ihre krebserregenden, erbgutverändernden und fortpflanzungsgefährdenden Eigenschaften bekannt.

Schweizer Politik zögert

Obwohl 2020 der Bundesrat strengere Vorschriften für den Export von Pflanzenschutzmitteln erliess,[22] zeigte sich bald, dass die Regulierung die beabsichtigte Wirkung verfehlt. Eine parlamentarische Initiative (22.449) von 2022 forderte ein vollständiges Exportverbot für Pestizide, die in der Schweiz verboten sind. Der Bundesrat betonte zwar, dass Pflanzenschutzmittel, die aus der Schweiz in andere Länder exportiert werden, keine Gefährdung der Gesundheit von Menschen oder der Umwelt verursachen sollen. Strengere Massnahmen, namentlich eine Erweiterung der Liste der Stoffe[23], die nicht exportiert werden dürfen, mochte er aber (noch?) nicht treffen. 

Verbotene Pestizide auf unseren Tellern

Mit verbotenen Pestiziden behandelte Agrarprodukte werden als Tierfutter oder Lebensmittel nach Europa importiert (Bsp. Orangensaft, Kaffee, Zucker, Soja für Tierfutter). So gelangen Rückstände dieser Pestizide wie ein Bumerang auf die Teller der europäischen Konsument:innen.[24] Welch merkwürdige Reise von chemischen Stoffen!

Tabelle 1: Übersicht über 16 problematische Pestizide, die in Brasilien weiterhin eingesetzt werden, obwohl sie in der Schweiz und EU verboten sind.[25]

PestizideGruppeWarum wurde der Stoff in der EU/Schweiz verboten?
DiquatHerbizidSehr ähnlich wie Paraquat. Seit dem Verbot von Paraquat ist Nutzung drastisch angestiegen.

Diquat wurde in der EU/Schweiz verboten, weil es ein endokriner Disruptor ist.[26] Endokrine Disruptoren schädigen das Hormonsystem und können Krebs, Diabetes, Adipositas, Fortpflanzungsstörungen oder Entwicklungsstörungen beim Kind verursachen.
AtrazinHerbizidEin Chlortriazin  

Bereits 2004 wurden in der EU der Wirkstoff Atrazin und alle darauf basierenden PSM wiederrufen.[27] Hauptgrund war die Verunreinigung des Grundwassers mit Rückständen. Zudem weist der Wirkstoff eine hohe Toxizität für aquatische Organismen auf.[28] Die Schweiz folgte 2007, gewährte aber lange Übergangsfristen bis 2012, was sich bis heute in der Form von Grundwasserbelastungen zeigt.
MetolachlorHerbizidMetolachlor wurde in der EU/Schweiz verboten, weil der Wirkstoff und zahlreiche Metaboliten zu einer Kontamination des Grundwassers führen. Es besteht ein hohes Risiko für Säugetiere, insbesondere für regenwurmfressende Arten durch sekundäre Vergiftungen.[29]
AcephatInsektizidEin Organo-Phosphat

Der Wirkstoff Acephat wurde in der EU schon 2003 verboten,[30] insbesondere weil der Stoff sehr toxisch für Menschen ist. Soweit ersichtlich war er in der Schweiz damals bereits nicht mehr erlaubt. Im CH-Pflanzenschutzmittelbuch von 1979 ist er noch aufgeführt.
Chlorpyrifos InsektizidEin Organophosphat

Chlorpyrifos wurde in der EU verboten, weil der Stoff neurotoxisch (neuroentwicklungsbedingte Schäden), reproduktionstoxisch (Schäden bei der Fortpflanzung) und genotoxisch (erbgutschädigend) ist.[31] In der Schweiz wurde das Verbot mit dem hohen Risiko für Wasserorganismen begründet.[32]
Dimethoate InsektizidSehr ähnlich wie Chlorpyrifos, ein Organophosphat

Dimethoat wurde in der EU verboten, weil es ein endokriner Disruptor ist und der Wirkstoff genetische Mutationen hervorruft.[33] In der Schweiz: wie bei Chlorpyrifos. Die beiden Stoffe wurden koordiniert und gleichzeitig widerrufen.
Fipronil InsektizidEin Organophosphat 

Fipronil wurde aufgrund seiner hohen Toxizität für Honigbienen und andere Bestäuber in der EU/Schweiz verboten.[34]
Imidacloprid InsektizidEin Neonicotinoid

Imidacloprid wurde in der EU/Schweiz 2019 aufgrund seiner schädlichen Auswirkungen auf Bienen und andere Bestäuber verboten (insbesondere auch als Saatbeizmittel).[35],[36]
Thiamethoxam InsektizidEin Neonicotinoid

Thiametoxam wurde in der EU/Schweiz 2019 aufgrund seiner schädlichen Auswirkungen auf Bienen und andere Bestäuber verboten.[37]
Clothianidin InsektizidEin Neonicotinoid

Clothianidin wurde in der EU/Schweiz 2019 aufgrund seiner schädlichen Auswirkungen auf Bienen und andere Bestäuber verboten.[38]
Thiacloprid InsektizidEin Neonicotinoid

Thiacloprid wurde in der EU/Schweiz verboten, weil es reproduktionstoxisch ist und das Grundwasser kontaminiert.[39]
Sulfoxaflor InsektizidÄhnlich wie ein Neonicotinoid

Sufoxaflor wurde aufgrund seiner schädlichen Auswirkungen auf Bienen und andere Bestäuber in der EU auf die Anwendung in Gewächshäusern beschränkt. In der Schweiz wurde es nie zugelassen verboten.[40]
Bifenthrin InsektizidEin synthetisches Pyrethroid

Bifenthrin wurde in der EU bereits 2009 aufgrund seiner schädlichen Auswirkungen auf aquatische Organismen, Bienen und andere Bestäuber und weil es potenziell krebserregend ist verboten.[41] In der Schweiz erfolgte der Widerruf erst 2020.[42]
ChlorothalonilFungizidEin Benzo-Carbonitril

Chlorothalonil wurde in der EU/Schweiz verboten, weil es als krebserregend (1B) eingestuft wurde und Abbauprodukte das Grundwasser belasten. Es bestehen zudem hohe Risiken bezüglich aquatischer Organismen, insbesondere Fische.[43]
Epoxyconazol FungizidEin Azol-Fungizid

Epoxyconazol ist wie die meisten Azol-Fungizide stark reproduktionstoxisch (H360FD).[44] Nachdem diese Erkenntnis bekannt wurde, verzichtete die Hauptzulassungsinhaberin BASF auf eine Verlängerung in der EU.
MancozebFungizidEin Dithiocarbamate

Mancozeb wurde in der EU/Schweiz verboten, weil es ein endokriner Disruptor ist.[45]

Fazit

Obwohl sie in der EU/Schweiz verboten sind, gelangen viele hochgefährliche Pestizide weiterhin auf internationale Märkte, insbesondere nach Brasilien, wo sie Mensch und Natur schädigen. Die Schweiz und Europa stehen mehrfach in der Verantwortung: Durch den Export der Pestizide und den Import von Produkten, wird in Brasilien eine menschen- und umweltschädliche Landwirtschaft gestützt. 

Der Verein ohneGift setzt sich für ein Exportverbot von verbotenen Pestiziden ein. Er verlangt zudem ein Importverbot von landwirtschaftlichen Produkten, die mit diesen gefährlichen Stoffen hergestellt wurden.


[1] Bombardi (2024): Pestizide: Brasilien – ein profitabler Markt

[2] Konchinski (2024): Brazil uses more pesticides than the US and China together

[3] Albrecht (2021): Agronomic implications of paraquat in Brazil

[4] Smith (1976): Paraquat

[5] National Pesticide Information Centre (2025): Paraquat Fact Sheet

[6] Somayajulu-Nitu (2009): Paraquat induces oxidative stress, neuronal loss in substantia nigra region and Parkinsonism in adult rats: Neuroprotection and amelioration of symptoms by water-soluble formulation of Coenzyme Q10

[7] Vanholder et al. (1981): Diquat Intoxication: Report of two cases and review of literature

[8] National Pesticide Information Centre (2020): Atrazine Fact Sheet

[9] Senanayake and Karalliedde (1987): Neurotoxic effects of organophosphorus insecticides. An intermediate syndrome

[10] Rauh et al. 2012) : Impact of Prenatal Chlorpyrifos Exposure on Neurodevelopment in the First 3 Years of Life Among Inner-City Children

[11] Rauh et al. (2011): Seven-Year Neurodevelopmental Scores and Prenatal Exposure to Chlorpyrifos, a Common Agricultural Pesticide

[12] Silva (2021): Dimethoate induces genotoxicity as a result of oxidative stress: in vivo and in vitro studies

[13] Wolejko (2022): Chlorpyrifos Occurrence and Toxicological Risk Assessment: A Review

[14] Reuber (1984): Carcinogenicity of dimethoate

[15] Office of Chemical Safety and Pollution Prevention (2024): Chemicals Evaluated for Carcinogenic Potential by the Office of Pesticide Programs

[16] Guiner (2017): Prenatal Residential Proximity to Agricultural Pesticide Use and IQ in 7-Year-Old Children

[17] Howood et al. (2016): How Neonicotinoids Can Kill Bees

[18] Sorci (2024): Neonicotinoids Impact All Aspects of Bird Life: A Meta-Analysis

[19] Zhou et al.(2022): Carbendazim: Ecological risks, toxicities, degradation pathways and potential risks to human health

[20] Wikipedia: Cyproconazol

[21] Hester et al. (2012): The hepatocarcinogenic conazoles: cyproconazole, epoxiconazole, and propiconazole induce a common set of toxicological and transcriptional responses

[22] Bundesrat (2020): Strengere Bestimmungen für die Ausfuhr von Pflanzenschutzmitteln

[23] Die Liste findet sich in der Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung (ChemRRV, SR 814.81). 

[24] Pesticide Action Network (2025): The return of EU-banned pesticides: dangerous residues found in imported food

[25] Brasilianische Regierung (2025)Pestiziddatenbank, Originaltext: Governo Federal de Brasil: Monografias de Agrotóxicos)

[26] EFSA (2015): Conclusion on the peer review of the pesticide risk assessment of the active substance diquat

[27] EU-Kommission, https://eur-lex.europa.eu/eli/dec/2004/248/oj/eng

[28] EFSA (2017): Scientific Opinion of the PPR Panel on the follow-up of the findings of the External Scientific Report “Literature review of epidemiological studies linking exposure to pesticides and health effects”

[29] EFSA (2023): Peer review of the pesticide risk assessment of the active substance S-metolachlor excluding the assessment of the endocrine disrupting properties

[30] FAO (2003): Commission Decision 2003/219/EC

[31] EFSA (2019): Statement on the available outcomes of the human health assessment in the context of the pesticides peer review of the active substance chlorpyrifos

[32] Persönliche Mitteilung von Dr. Hans Maurer, Rechtsanwalt Zürich.

[33] EFSA (2018): Peer review of the pesticide risk assessment of the active substance dimethoate

[34] EFSA (2013): Conclusion on the peer review of the pesticide risk assessment for bees for the active substance fipronil

[35] EFSA (2015): Conclusion on the peer review of the pesticide risk assessment for bees for the active substance imidacloprid considering all uses other than seed treatments and granules

[36] EFSA (2018): Peer review of the pesticide risk assessment for bees for the active substance imidacloprid considering the uses as seed treatments and granules

[37] European Commission (2021): Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed  

[38] EFSA (2016): Peer review of the pesticide risk assessment for the active substance clothianidin in light of confirmatory data submitted

[39] EFSA (2019): Peer review of the pesticide risk assessment of the active substance thiacloprid

[40] EFSA (2020): Peer review of the pesticide risk assessment for the active substance sulfoxaflor in light of confirmatory data submitted

[41] EFTA (2009): Factsheet – 32009D0887

[42] Agroscope, Analyse zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz, Agroscope Science, 173, 2023, S. 22, siehe: https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/54953

[43] EFSA (2018): Peer review of the pesticide risk assessment of the active substance chlorothalonil

[44] EFSA (2015): Peer review of the pesticide risk assessment for the active substance epoxiconazole in light of confirmatory data submitted

[45] EFSA (2020): Peer review of the pesticide risk assessment of the active substance mancozeb

Wir schreiben selbstständig. Der Verein ohneGift verzichtet auf den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) beim Verfassen von Texten.

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