Trifluoracetat – for ever in unserem Trinkwasser?

Der Verein ohneGift findet einen Stoff im Schweizer Trinkwasser, aus dem es nicht mehr verschwindet: Welche langfristigen Auswirkungen wird er haben? Bisher rätseln die Behörden nur darüber. Ein Grossteil stammt wahrscheinlich von Pestiziden, die unsere Landwirtschaft breit einsetzt.
For ever im Trinkwasser?
Mai 17, 2021

Fausta Borsani

Trifluoracetat (TFA) ist das letzte Abbauprodukt von künstlich hergestellten Stoffen, die als Kühlmittel für Klimaanlagen, Pestizide und Medikamente Verwendung finden. TFA ist eine «Forever-chemical», will heissen: Es baut sich weder in der Umwelt noch in Lebewesen ab. Noch in Tausenden von Jahren werden unsere Kindes-Kinder TFA im Wasser messen können.

Wie gefährlich TFA für Mensch und Umwelt wirklich ist, darüber kann derzeit nur gerätselt werden: Es gibt noch keine Studien zur Frage, ob TFA auf lange Frist krebserregend ist, oder was es mit uns macht, wenn wir kleine Mengen davon über Jahre trinken. TFA beeinflusst unser Zentralnervensystem[1]: Da eine akute Giftwirkung aber erst bei höheren Dosen auftritt, hat etwa das deutsche Umweltbundesamt, einen Zielwert von maximal 10 Mikrogramm TFA pro Liter im Trinkwasser angesetzt[2]. Wie giftig TFA auch ist: Es ist unerwünscht, weil es sich im gesamten Wasserkreislauf verteilt, und sich in (Grund-)Wasser und in den Böden anreichert. Unbekannt ist ebenfalls, wie TFA im Cocktail mit anderen Umweltschadstoffen zusammenwirkt.

Die Umweltorganisation ohneGift wollte wissen, woher das TFA in unserem Trinkwasser stammt und hat dazu vom deutschen DVGW-Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe (D) neun ausgewählte Wasserproben analysieren lassen. Dabei ergaben sich folgende Resultate:

Ort der ProbennahmeTrifluoracetat (µg/l)
1.  Bielersee bei Biel0.41
2.  Trinkwasser Biel0.45
3.  Murtensee bei Murten0.91
4.  Trinkwasser Murten0.80
5.  Zürichsee0.25
6.  Trinkwasser Stadt Zürich0.25
7.  Hallwilersee bei Birrwil/AG0.54
8.  Trinkwasser Birrwil (Grundwasserfassung Ländern)0.67
9.  Limmat, Schlieren, 2 km nach dem Einlauf aus der ARA Werdhölzli Zürich0.33

Die TFA-Konzentrationen im Trinkwasser, das aus dem Zürichsee, Bielersee und Murtensee gewonnen wird, entsprechen den Konzentrationen im jeweiligen See (Proben 1 bis 6). Hier wird eben das Seewasser, das TFA enthält, direkt zu Trinkwasser aufbereitet. Die Aufbereitungsverfahren der Schweizer Seewasserwerke sind gegen TFA machtlos.

Roman Wiget, Trinkwasserexperte und Präsident des Trinkwasserverbands AWBR warnt: «Derzeit ist keine Methode bekannt, mit der TFA mit verhältnismässigen Mitteln, d.h. ohne sehr hohen technischen und finanziellen Aufwand, aus dem Wasserkreislauf entfernt werden könnte. Der Stoff betrifft insbesondere jene TrinkwasserbezügerInnen, die aufbereitetes Seewasser erhalten». Auch das Trinkwasser von Birrwil, das nicht vom Hallwylersee, sondern aus einer Grundwasserfassung stammt, ist mit TFA verunreinigt (Probe 8). Die betroffene Bevölkerung erhält zu TFA keinerlei Informationen.

Woher kommt das TFA? Eine Spurensuche

Lecke Autoklimaanlagen, die TFA in die Luft entlassen, können die Ursache von TFA in der Umwelt sein. Das beständige TFA gelangt über die Niederschläge in Böden und Gewässer. Die im Vergleich tieferen Werte des Zürichsees (0.25 µg/l) weisen aber darauf hin, dass dieser Beitrag in der Schweiz gering ist.

Auch der Beitrag aus Medikamenten (etwa vom häufig verwendete Antidiabetikum Sitagliptin) und von gewerblichen Quellen aus der Stadt Zürich scheint gering zu sein, weil das Limmatwasser nach dem Einlauf aus der Abwasserreinigungsanlage (ARA) Werdhölzli gegenüber dem Zürcher See- und Trinkwasser nur wenig mehrbelastet ist (plus 0.07 µg/l, Probe 9). Die ARA Werdhölzli verarbeitet das Abwasser von einer halben Million Menschen. Am Ende des Prozesses wird es mit Ozon behandelt. Dadurch wird alles TFA, das noch an komplexere Moleküle gebunden ist, freigesetzt und messbar. Wenn der Eintrag aus Medikamenten und der Industrie bedeutend wäre, müsste das Limmatwasser viel mehr TFA enthalten.

Damit verbleiben als Hauptquelle für das TFA in unseren Gewässern landwirtschaftliche Pestizide. Zurzeit sind 25 Pestizid-Wirkstoffe zugelassen, die zu TFA abgebaut werden. Deren jährliche Verkaufsmenge beträgt zirka 32’000 Kilogramm. Dass Pestizide hauptverantwortlich für die TFA-Verunreinigung sind, bestätigen die Messresultate (Proben 1 bis 8): So ist die tiefere Konzentration im Zürichsee (0.25 µg/l) erklärbar mit dem hydrologischen Einzugsgebiet, das weitgehend im hügeligen Voralpengebiet mit Graswirtschaft ohne Pestizideinsatz liegt. Demgegenüber stammt ein grosser Anteil des bis zu 3.5-fach stärker mit TFA belasteten Wassers im Bieler-, Murten- und Hallwylersee sowie aus der Grundwasserquelle «Ländern» in Birrwil aus Ackerbaugebieten mit hohem Pestizideinsatz.

[1]      Tipps et al, Trifluoroacetate is an allosteric modulator with selective actions at the glycine receptor, in: Neuropharmacology. 2012 Sep; 63(3), S. 368 ff. (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3372770/)

[2]      https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/362/dokumente/2020_10_20_uba_einordnung_tfa_leitwert.pdf

Was ist zu tun?

Dem Vorsorgeprinzip folgend sollten Konzentrationen von menschengemachten Fremdstoffen im Grund- und Trinkwasser so tief wie möglich gehalten werden, da die Risiken sowie die Cocktail- und Langzeitwirkungen nicht vorhersehbar sind. Die Behörden sollten weitere Messungen machen und über die Auswirkungen intensiv forschen. Wenn die Resultate von ohneGift bestätigt werden, müssen die TFA-Quellen gestoppt werden. Anderenfalls reichert sich immer mehr TFA in Gewässern und im Trinkwasser an. Sollte es sich in Zukunft erweisen, dass der Stoff gefährlich ist, wäre es zu spät, denn «Forever-chemicals» bleiben für immer. Einen solchen Quellenstopp verlangt nicht nur das Vorsorgeprinzip, sondern auch das vom Parlament am 19. März 2021 beschlossene Bundesgesetz über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden. Aus diesen Gründen müssten alle Pestizide, die zu TFA-Konzentrationen in den Gewässern führen, möglichst schnell verboten werden.

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