Gastbeitrag: Jöelle Rüegg
Eine neue Studie bei schwangeren Frauen, publiziert in der Fachzeitschrift «Science»[i] zeigt, dass die Hirn- und Sprachentwicklung der Kinder durch ein Gemisch von hormonaktiven Substanzen beeinträchtigt werden kann. Und dies bereits bei Konzentrationen, die weit unter den jeweiligen gesetzlichen Grenzwerten für die Einzelstoffe liegen.
Täglich sind Mensch und Natur Tausenden von Chemikalien ausgesetzt, von denen einzelne unseren Hormonhaushalt stören können, sogenannte «endokrine Disruptoren». Zwar liegen die im Menschen gemessenen Werte für einzelne Chemikalien meist unter den heutigen Grenzwerten; doch gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass die Chemikaliengemische, denen wir in der realen Welt ausgesetzt sind, die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können. Die heutigen Risikobewertungen und damit die festgelegten Grenzwerte basieren jedoch seit jeher darauf, dass die Giftwirkung von Chemikalien nur am jeweiligen Einzelstoff untersucht wird. Unzählige Vorstösse, diesen Missstand zu ändern, sind bislang im Sand verlaufen. Ein Anliegen der neuen Chemikalienpolitik in der EU ist nun immerhin, auch Cocktail-Effekte einzubeziehen[ii]. Bis wann dies aber umgesetzt wird, steht in den Sternen.
Die Studie, ein Resultat des EU-finanzierten Forschungsprojektes EDC-MixRisk, basierte auf einem neuen Ansatz, der Messdaten in der Bevölkerung mit Experimenten kombinierte. So konnte das Risiko von Chemikalien-Cocktails bewertet werden. Die Studie wurde in drei Schritten durchgeführt:
Mit diesem Ansatz konnten die WissenschaftlerInnen zeigen, dass über 50 Prozent der schwangeren Frauen Chemikalien-Cocktails in Mengen ausgesetzt waren, die ein Risiko für die Hirn- und Sprachentwicklung ihrer ungeborenen Kinder darstellen. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass die heute angewandten Methoden zur Risikobewertung von Chemikalien unzureichend sind, und dass in Zukunft Cocktail-Effekte berücksichtigt werden müssen.
[i] N. Caporale et al., Science 375, eabe8244(2022). DOI: 10.1126/science.abe8244
[ii] https://ohnegift.ch/2022/02/16/eu-chemie-fuer-und-nicht-gegen-den-menschen-gesucht/
Weitere Infos (auf Englisch)
«More chemicals, fewer words: Exposure to chemical mixtures during pregnancy alters brain development», video summarising the main results of this study: https://www.youtube.com/watch?v=bJh9c-pyeYo
«EDC-MixRisk project studies the effects of chemical mixtures», film on the main results of EDC-MixRisk: https://www.youtube.com/watch?v=XumDwTEDcl0