Fausta Borsani
LandwirtInnen beschreiben sie als «natürlichen Dünger», Umwelt-Fachleute als Gift für die Artenvielfalt, die Wasserlebewesen und den Menschen. Die Gülle, eine Mischung aus Kot und Harn von landwirtschaftlichen Nutztieren wie Schwein, Rind oder Geflügel, enthält wichtige Pflanzen-Nährstoffe: Stickstoff, Kalium, Phosphor, Magnesium, Eisen und Bor. «Wertvoller Dünger, der uns vor dem Hunger bewahrt», würde eine Bäuerin im 19. Jahrhundert sagen. «Abfallprodukt», das unsere Natur vergiftet und unserer Gesundheit schadet, sagen Umweltorganisationen heute.
Der Unterschied in diesen beiden Aussagen ist zwei Gründen geschuldet: Wir halten in der Schweiz viel zu viele Tiere, deren Kraftfutter wir zu 60% importieren – und für das notabene 200’000 Hektaren Ackerland im Ausland intensiv gedüngt und mit Pestiziden behandelt werden[1]. Da die Schweizer Landwirtschaft vor allem auf Tierhaltung spezialisiert ist, «veredeln» wir hier das importierte Futter zu Fleisch, Milch und Eier. Durch die hohen Tierbestände entsteht weit mehr Gülle als die Kulturen eines Bauernhofes es nutzen können. Der Bauer muss die überschüssige Gülle jedoch loswerden – und entsorgt sie auf Feldern und Äckern. Aber: Die Ausscheidungen der vielen Tiere gelangen auf Böden, die oft schon viel Kunst-Dünger bekommen. Resultat: Unser Agrar-Boden ist fast überall massiv überdüngt, zum Beispiel mit Stickstoff. Die Bilanz des Bundes aus dem Jahr 2019 weist nach, dass die Stickstoffzufuhr 117 Prozent des Bedarfes ausmachte! Also wurden in absoluten Zahlen 13’689 Tonnen Stickstoff zu viel ausgebracht. Dabei stammte etwas mehr als die Hälfte aus der Tierhaltung[2]. Der überschüssige Stickstoff dringt in Gewässer und ins Grundwasser ein. Und deren Nitratgehalt steigt. In ackerbaulich geprägten Gebieten liegen die Nitrat-Konzentrationen im Grundwasser an mehr als 40% der Messstellen über dem Grenzwert[3]. Zur Sicherstellung der Trinkwasserqualität müssen Wasserwerke teure Gegenmassnahmen ergreifen. Die Kosten dafür trägt bisher die Allgemeinheit.
Neben der Überdüngung der Umwelt sind zu viele tierische Exkremente auch für den Menschen gefährlich: Einerseits verursachen die Ammoniakemissionen aus der Tierhaltung, die mit der Luft transportiert werden, Augen- und Schleimhautreizungen und können bei stärkerer Aussetzung Lungenprobleme und Schlimmeres bewirken[4]. Andererseits führt die verbreitete Anwendung von Antibiotika in der Nutztierhaltung dazu, dass Bakterien Resistenzen bilden. Wenn LandwirtInnen Gülle ausbringen, sorgen sie dafür, dass resistente Keime nicht im Stall oder der Güllengrube bleiben, sondern sie verteilen sie grossflächig. Leider können Antibiotika diesen Bakterien, die der Mensch über die Nahrungskette oder auch aus der Luft aufnimmt, nichts mehr entgegensetzen. Man spricht in diesem Zusammenhang bereits von 1,2 Millionen Todesfällen weltweit im 2019[5]. Mit jeder Resistenz steigt das Risiko, dass wir die wichtigste Waffe im Kampf gegen viele gefährliche Infektionskrankheiten verlieren. Und mit jedem resistenten Keim, der u.a. mit der Gülle auf den Acker und damit in die Umwelt gelangt, wächst die Gefahr, dass sich Menschen damit infizieren und dass diese Infektionen nur schwer behandelbar sind. In Deutschland fand ein unabhängiges Labor im Jahr 2020 in zwölf von 15 Gülleproben aus landwirtschaftlichen Betrieben antibiotikaresistente Keime[6].
[1] vgl. dazu: Priska Baur, Patricia Krayer, Schweizer Futtermittelimporte – Entwicklung, Hintergründe, Folgen, Wädenswil/ZHAW, 2021
[2] https://www.agrarbericht.ch/de/politik/direktzahlungen/nationale-suisse-bilanz-fokus-selbstdeklaration
[3] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/fachinformationen/zustand-der-gewaesser/zustand-des-grundwassers/grundwasser-qualitaet/nitrat-im-grundwasser.html
[4] https://www.lunge-zuerich.ch/lunge-luft/luft/aussenluft/luftschadstoffe/ammoniak
[5] https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/millionen-todesfaelle-infolge-von-antibiotika-resistenzen-4360
[6] https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/landwirtschaft/tierhaltung/gefaehrliche-keime-guelle