Lieber nicht fragen - spritzen

Der Bund beschliesst, ein sehr giftiges Insektizid notfallmässig zuzulassen, Monate bevor der Insekten-Befall überhaupt bekannt ist. Ein krasser Verstoss gegen den vom Bund propagierten integrierten Pflanzenschutz, bei dem zuerst der mögliche Schaden abgeschätzt wird. Und das Verfahren an sich stellt eine gefährliche Geheimnistuerei dar
Die gespritzten Zwetschgen haben Kinder und Erwachsene bereits gegessen. Bild: Pixabay
Oktober 7, 2022
Georg Odermatt

Die Geschichte: Am 29.11.2021 wurde vom Schweizer Obstverband ein Antrag für eine Notfallzulassung für das Insektizid Insegar mit dem Wirkstoff Fenoxycarb beim Bundesamt für Landwirtschaft eingereicht. Das Mittel wirkt gegen den Pflaumenwickler. Er ist ein Schädling an Zwetschgen, Pflaumen, Mirabellen und Renekloden. Ein Befall ist dadurch erkennbar, dass die Früchte vorzeitig reif werden und abfallen. An den Bohrlöchern der Früchte ist ein gallertartiges Tröpfchen sichtbar, was auf die rötlichen Raupen im Inneren schließen lässt. Der Antrag wurde am 26.01.2022 der Zulassungsstelle Pflanzenschutzmittel weitergeleitet. Mitten im Winter, wenn noch keine Schmetterlinge des Pflaumenwicklers fliegen, geschweige denn die Obstbäume befallen. Schliesslich wurde er am 13. Juni 2022, kurz vor der Spritzsaison, vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen bewilligt.

Der Schweizer Obstverband hat also im Herbst 2021 vorsorglich für den nächsten Sommer eine Notfallzulassung beantragt und als Begründung vorgebracht, dass in der vorherigen Ernte bis zu 50% der Zwetschgenernte durch den Pflaumenwickler geschädigt worden seien.  Er hat damit mehr als ein halbes Jahr im Voraus ein Schaden heraufbeschworen, obwohl das massenhafte Auftreten des Pflaumenwicklers insbesondere vom Klima und dem Vorhandensein von Fressfeinden abhängt. Zudem wurde vorweggenommen, dass den Insekten nicht mit anderen Mitteln beizukommen sei. Tatsächlich helfen gegen den Pflaumenwickler auch umweltfreundliche Methoden wie zum Beispiel die Verwirrungstechnik (mit in der Pflaumenkultur verteilten Depots von weiblichem Lockstoff), die einen Erfolg bis zu 90% zeitigt.

Das Insektizid Fenoxycarb ist aufgrund seiner enormen Giftigkeit für Lebewesen in Gewässern, aber auch für Schmetterlinge und andere Bestäuberinsekten etc. schon lange nur noch im Gewächshaus zulässig. Der Wirkstoff ist zudem möglicherweise für den Menschen krebserregend. Letzten Sommer durfte er in den Schweizer Obstgärten verspritzt werden. Die damit gespritzten Zwetschgen haben viele Erwachsene und Kinder bereits gegessen.

Nebst den Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt, die von einer solchen Notfallzulassung ausgehen, ist noch etwas besonders störend: Dass die ansonsten angehörten Umweltorganisationen, nicht einbezogen werden. Durch die Notfallzulassung umgeht der Staat die beschwerdeberechtigten Organisationen im Namen der «raschen Beurteilung» wie es im Schreiben des Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen steht. Diese findet – unter Ausschluss der Öffentlichkeit viele Monate vor einem möglichen Befall statt. Und natürlich wollen die Pestizidanwender nicht, dass ihnen jemand vor dem Spritzen steht und das lukrative Geschäft verdirbt.

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