Die andere Seite von Fassadendämmungen

Strassenblockaden, Energiewende, Klimaschutzgesetz; diese Begriffe dominieren aktuell die Schlagzeilen. Fungizide, Algizide, aquatische Toxizität – diese Ausdrücke allerdings lesen sich selten. Wie sie aber alle zusammenhängen, zeigen wir euch in unserem neuen Blogbeitrag.
Fassade mit Befall (oben) und ohne Befall (unten).
Juni 16, 2023
Georg Odermatt

Die Bewegung Renovate Switzerland fordert, dass die Schweiz mehr Geld in die thermische Sanierung von Gebäuden investiert. Denn diese sind für etwa 40 % des CO2-Ausstosses der Schweiz verantwortlich, vor allem durchs Heizen [1]. Doch viele der Gebäude wurden vor 1980 erstellt und sind ungenügend gedämmt. 1.5 Millionen Häuser in der Schweiz sind sanierungsbedürftig [2]. Durch die Sanierung der Gebäudehülle könnte der Energieverbauch massiv gesenkt werden [3]. Weiter macht der Einbau einer klimafreundlichen Heizung ohne energetische Sanierung des gesamten Gebäudes wenig Sinn. Auch das neue Klimaschutzgesetz enthält Rahmenbedingen dazu. Dies ist richtig und wichtig.

Kein Problem und doch eines: der Befall von Fassaden mit Pilzen und Algen

Ein Nebeneffekt der Sanierung der Gebäudehülle kann eine erhöhte Anfälligkeit für Schimmelpilze und Algenbewuchs sein. Denn durch die Dämmung bleibt die Aussenseite der Fassade einerseits kühler, andererseits länger feucht durch nächtliches Tauwasser. Beide Faktoren unterstützen das Wachstum von Pilzen und Algen, die grundsätzlich (ausser gegen direktes Sonnenlicht) sehr tolerant gegenüber Umwelteinwirkungen sind. Gut gedämmte Hausfassaden speichern weder Sonnenwärme, noch lassen sie Wärme von innen durch. So kommt es, dass sie länger feucht bleiben als andere Fassaden – und Algen und Pilzen einen idealen Nährboden bieten. Eine wichtige Ursache sind auch fehlende Überdächer. So kann Regen sogar ohne  Wind, der ihn ans Haus drückt, Fassaden benetzen und das Wachstum von Algen und Pilzen fördern. Achten Sie beim nächsten Spaziergang auf Fassaden ohne Überdach: Die schwarz-grünliche Verfärbungen verraten den Befall.

Bautechnisch betrachtet ist der Befall von Fassaden mit Pilzen und Algen in der Regel unschädlich [4]; eine ästhetische und biologische «Evolution», mit der man leben und Geld sparen könnte. Zum Problem wird der Befall erst durch die Reaktion der Hausbesitzer, die das ursprüngliche Erscheinungsbild einer makellosen Fassade erhalten wollen. Aus welchen Gründen auch immer: um den Nachbarn zu gefallen, den sozialen Status zu wahren,  das Haus teurer zu vermieten – oder einfach, weil man es schon immer so gemacht hat.

Darum werden Pilzen und Algen an Fassaden viel zu oft mit Bioziden (meist Fungizide und Algizide) behandelt. Diese werden direkt in Fassadenanstriche (Farbe, Lack) oder Verputz gemischt und auf die Gebäudeaussenhülle aufgebracht. Obwohl sie schwer wasserlöslich sind (wenige Milligramm pro Liter) werden sie mit dem abfliessenden Regenwasser im Verlauf von einigen Jahren herausgelöst und gelangen auf den Boden und in Gewässer [6]. Auch dort töten sie leider Pilze, Algen sowie Bakterien. In Gewässern etwa erfüllen Pilze, Algen und Bakterien wichtige Funktionen: Wasserpilze wirken als Destruenten und setzen Nährstoffe für andere Wasserorganismen frei. Algen sind Futter für Wassertiere. Bakterien bilden wie im Darm des Menschen ein lebenswichtiges Mikrobiom. Auswirkungen der Biozide in der Umwelt und vor allem ihrer Abbauprodukte haben wir in mehreren Artikeln schon besprochen, z.B. in «Biozide: in der Landwirtschaft verboten, für Laien erlaubt».

Wie geht es weiter?

Um das Ziel zu erreichen, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird, braucht es eine jährliche Sanierungsrate im Gebäudesektor von 2 – 3 % (aktuell stagniert diese bei ≈ 1%) [7]. Dies bedeutet, dass sich auch der Einsatz von Bioziden und die Konzentration dieser Stoffe in der Umwelt erhöhen wird, wenn sich nichts an der aktuellen Praxis ändert. Problematisch ist auch, dass auf solchen Fassadenfarben und Lacken oftmals Gefahrenhinweise fehlen oder die Inhaltsstoffe ungenügend deklariert sind.

Doch welche Wirkstoffe werden bei Fassaden eingesetzt?

Die Liste der Wirkstoffe ist lang, auffallend sind aber beispielsweise die Stoffe Carbendazim und Terbutryn. Carbendazim wird als Fungizid in Fassaden eingesetzt und wird als toxisch für Menschen und Tiere eingestuft. Terbutryn ist ein Herbizid und gilt als stark wassertoxisch.  Studien von der Eawag zeigen, dass die Konzentrationen von Bioziden bei vielen Messtellen in der Stadt kritische Werte aufwiesen.[12]

Und was macht die Politik?

2019 gab es eine Interpellation im Nationalrat von Isabelle Chevalley (GLP) zum Einsatz von Bioziden in Farben. Diese wurde vom Bundesrat beantwortet. Geändert hat sich dadurch aber in der Praxis nichts. Geschätzt werden derzeit jährlich 10 – 30 Tonnen Bioziden in der Schweiz für Gebäudehüllen verwendet – Trend steigend. Doch nur schon Konzentrationen von wenigen Mikrogramm pro Liter können sie das Ökosystem in ganzen Bachabschnitten schädigen.

Der Verein ohneGift unterstützt den Klimaschutz. Die Umsetzung darf aber nicht zu Lasten der Biodiversität gehen. Der Verein ohneGift fordert deshalb, dass gewässerschädliche und andere toxische Biozide in Fassadenbeschichtungen einfach und rasch verboten werden. Mit der Zeit werden sich die Leute daran gewöhnen, dass Fassaden nicht makellos sein müssen und wissen, dass dadurch die Umwelt geschützt wird.

Quellen

[1] https://www.dasgebaeudeprogramm.ch/de/das-gebaudeprogramm/ziele/

[2] https://www.nzz.ch/finanzen/hausrenovation-mit-diesen-kosten-muessen-sie-rechnen-ld.1733986?reduced=true

[3] https://www.energie-experten.ch/de/wohnen/detail/energieverbrauch-zum-heizen-halbieren.html

[4] https://www.stuckateur.de/wp-content/uploads/2016/09/06_Sind-Algen-und-Pilze-an-Fassaden-immer-ein-Mangel_Beyen_24-11-2016.pdf

[5] https://www.google.com/url?sa=i&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=0CAIQw7AJahcKEwiImub1r73_AhUAAAAAHQAAAAAQAw&url=https%3A%2F%2Fwww.chemsuisse.ch%2Ffiles%2F78%2FDE-Diverse-Merkblaetter%2F551%2FMerkblatt-D13.pdf&psig=AOvVaw0i-MVt2d8uvO21_mWhH_sG&ust=1686647019363620

[6] https://www.4-b.ch/de/blog/energetisch-sanieren-gemaess-neuester-studie-der-empa/

[7] https://www.eawag.ch/fileadmin/Domain1/Beratung/Beratung_Wissenstransfer/Publ_Praxis/Faktenblaetter/fb_Biozide_in_Gewaessern_Nov2008.pdf

 

Alternativen gegen Pilze und Algen an der Hauswand?

Wer seine Hausfassade trotzdem frei von Algen und Pilzflecken halten will, sollte auf Alternativen ausweichen, welche die Umwelt nicht belasten. Hierzu einige Tipps:

Alkalische Silikatanstriche oder Kalkputze haben einen so hohen pH-Wert, dass Algen und Pilze darauf nicht oder nur sehr schwer gedeihen können. Einige Hersteller bieten Fassadenfarben ausdrücklich ohne Biozide an. Eine weitere Möglichkeit ist eine dunkle Fassadenfarbe: Dann fallen Flecken weniger auf, denn wie erwähnt sind Pilze und Algen nur ein optisches Manko.[1] Und falls es zu einem Befall kommt, kann dieser von Spezialisten mit einem Hochdruckreiniger entfernt werden. Im Übrigen hilft vor allem, die Fassade möglichst trocken zu halten, etwa durch ein gutes Überdach.[2]

Als eher problematisch beurteilen wir Fassaden mit Nanomaterialien, wie sie teils angeboten werden, weil diese wiederum in die Umwelt gelangen und dort unerwünschte Folgen haben können.

[1] https://www.ibau.de/akademie/wissenswertes/biozide-in-fassadenfarbe-stellen-umweltrisiko-dar/

[2] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/chemikalien/fachinformationen/sorgfaeltiger-umgang-mit-biozidprodukten/materialschutz/verputzte-fassaden.html

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