Glyphosat: Wieso ein Verbot auch nicht alle Probleme löst.

In diesen Wochen sorgt das Herbizid Glyphosat erneut für Schlagzeilen in Europa. Derzeit wird in der EU-Kommission über eine Verlängerung der Zulassung für diesen Wirkstoff abgestimmt. Wir betrachten das Thema aus verschiedenen Perspektiven.
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November 15, 2023
Georg Odermatt

Politische Uneinigkeit

 Gemäss den EU-Vorschriften müssen die Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln alle zehn Jahre überprüft werden. Die EU-Kommission, die der Regierung der EU entspricht, legte im September einen Verordnungsentwurf vor. Dieser sieht eine verlängerte Zulassung von Glyphosat, dem am häufigsten verwendeten Herbizid in der EU, ab dem 15. Dezember dieses Jahres vor, wenn die aktuelle Zulassung ausläuft. Im Oktober tagte ein Expertengremium der 27 Mitgliedstaaten. Für eine Empfehlung an die Kommission ist eine Mehrheit von 15 Mitgliedern erforderlich (was 65% der Bevölkerung repräsentieren würde). Bei der ersten Abstimmung Mitte Oktober konnten sich die EU-Staaten jedoch nicht einigen. Es gab weder eine Mehrheit für eine Wiedergenehmigung (die dann wieder auf zehn Jahre ausgelegt wäre), noch eine für ein vollständiges Verbot des Wirkstoffs.

Lange Vorgeschichte

 Glyphosat befindet sich seit Jahren in der Überprüfung, wobei die Frist mehrmals verlängert wurde. Im Juli 2023 veröffentlichte die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) ihre Schlussfolgerungen zu Glyphosat. Dabei spricht sie grundsätzlich eine Empfehlung zur Verlängerung der Zulassung für dieses Herbizid aus. Dennoch weist der Bericht beispielsweise auf die besondere Gefährdung von Nagetieren hin (siehe Box „Gefährdung für Nagetiere“). Insgesamt sieht der Verein ohneGift jedoch starke Mängel in der Studie. Beispielsweise wird in der Studie gesagt, dass «nicht ausreichende Informationen vorlagen, um zu einem klaren Schluss über den Einfluss auf die Biodiversität zu gelangen». Zu Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit durch Rückstände des Herbizids in Produkten schreiben die Verfasser, dass «die Risikobewertung für Verbraucher nicht abgeschlossen werden konnte […], da die Anzahl der Feldversuche mit Fruchtfolgekulturen unzureichend war, um alle relevanten Szenarien abzudecken». Zusammengefasst wird also gesagt, dass zu wenige Daten vorlagen, um die Auswirkungen von Glyphosat abschliessend zu beurteilen. Trotzdem wird eine Empfehlung zur Weiterverwendung des Produktes ausgesprochen.

 

Gefährdung für Nagetiere:

Die EFSA-Studie kommt zum Schluss, dass «bei einer Anwendungsmenge von mehr als 0.72 kg pro Hektar und Jahr ein hohes langfristiges Risiko für kleine Säugetiere wie Schermäuse und Feldmäuse besteht». Ein solches Risiko wird in der Schweiz rechtlich als Critical Concern betrachtet (Anhang 9CI-2.5.2.1 PSMV, Abschnitt a) und erfordert bei der Wiederzulassung des Wirkstoffs für Pflanzenschutzmittel mit Glyphosat durch die Mitgliedstaaten entsprechende Anwendungseinschränkungen. Die erlaubte Menge von 0.72 kg/Hektar pro Jahr reicht aus, um einjährige Unkräuter zu bekämpfen, jedoch nicht mehrjährige Unkräuter wie Disteln, Brombeeren, Blacken und Zaun-Girsch, die widerstandsfähiger sind und die doppelte bis vierfache Menge erfordern.

Nagetieren kommt eine hohe ökologische Bedeutung zu, da sie sowohl Samen verbreiten als auch zur Aufrechterhaltung der Symbiose zwischen Pflanzen und Mykorrhizapilzen beitragen, indem sie Pilzsporen verbreiten. Die Bekämpfung von mehrjährigen Unkräutern stellt damit ein untragbares Risiko für kleine Säugetiere, namentlich Nager dar. Viele Tiere in der Nahrungskette sind auf gesunde Nagerpopulationen angewiesen, darunter Greifvögel wie Turmfalken, Mäusebussarde und Rotmilane, aber auch beispielsweise Eulen, Hermeline und Füchse. Die Bekämpfung von mehrjährigen Unkräuter mit Glyphosat bedroht damit mittelbar auch eine Vielzahl von Vögeln und Säugern, die von Nagetieren leben.

Deutschland und Frankreich enthalten sich

 Unsere beiden Nachbarstaaten haben sich bisher in der Abstimmung enthalten und noch nicht klar positioniert. Es wird vermutet, dass Frankreich nicht für eine Verlängerung der Zulassung stimmen wird, da ihnen die vorgeschlagene Dauer von zehn Jahren zu lang ist und sie sich stattdessen für eine Zeitspanne von sieben Jahren einsetzen. Ein weiterer Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der Grande Nation könnte ein Urteil aus Paris in dieser Woche haben, bei dem eine Person mit Missbildungen als Opfer von Glyphosat anerkannt wurde und nun eine Entschädigung erhält.

Deutschland hingegen hat im Koalitionsvertrag der Ampelregierung 2021 festgelegt, dass ab 2023 Glyphosat in Deutschland nicht mehr zugelassen sein soll. Doch bei der Abstimmung in Brüssel muss sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nun enthalten, da die FDP plötzlich nichts mehr von einem Glyphosat-Verbot wissen will.

 Bayer-Aktie stürzt ab

Auch in den USA steht das Thema Glyphosat derzeit stark im Fokus. Bayer wurde kürzlich in den USA zu einer Zahlung von 1.25 Millionen USD an einen Kläger verurteilt, der behauptet, durch den Kontakt mit dem Unkrautvernichter Roundup (mit Wirkstoff Glyphosat) an Krebs erkrankt zu sein (siehe Box „Gesundheitliche Auswirkungen von Glyphosat“). Insbesondere dieses Urteil hat dazu geführt, dass der Aktienkurs von Bayer erheblich unter Druck geraten ist und seit einigen Wochen stark rückläufig ist. 

Ein Glyphosatverbot wird jedoch nicht nur vom Widerstand vieler Landwirt:innen behindert, die um ihre Ernte besorgt sind, sondern auch von der geballten Macht der Agroindustrie, allen voran Monsanto. Unter dem Namen „Roundup Ready“ spült Glyphosat dem US-Agrokonzern jährlich Milliarden in die Kassen. Allein in Deutschland soll Glyphosat für vierzig Prozent der Konzerneinnahmen verantwortlich sein.

Wie sieht es in der Schweiz aus?

Auch in der Schweiz wird schon länger über ein Verbot diskutiert. 2016 haben Greenpeace, die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz und die Stiftung für Konsumentenschutz in Bern eine entsprechende Petition mit über 25 000 Unterschriften eingereicht. Verändert hat sich aber nichts. 2020 wurden zwei Standesinitiativen aus den Kantonen Genf und Jura im Parlament abgewiesen, die ein Verbot von Glyphosat verlangten. Die Begründung der zuständigen Kommission damals (WAK-N) war, dass «in der Schweiz bereits heute strenge Auflagen für den Einsatz von Glyphosat gelten würden. So dürfe in der Schweiz – anders als in anderen Ländern – Glyphosat nur bei Pflanzen eingesetzt werden, die nicht geerntet werden».

Glyphosat ist in der Schweiz momentan immer noch zugelassen mit einem jährlichen Absatz von etwa 120 Tonnen (vgl. global waren es 2014 etwa 747’000 Tonnen pro Jahr, heute wohl über 1’000’000 Tonnen pro Jahr). Heruntergerechnet sind dies in der Schweiz durchschnittlich 0.3 kg pro Hektar und Jahr auf den behandelten Feldern.

Das Hauptproblem dabei ist die Vernichtung sämtlicher Nahrungspflanzen für Bestäuberinsekten.

Gesundheitliche Auswirkungen von Glyphosat: 2015 stufte die WHO das Herbizid Glyphosat als „vermutlich krebserregend“ ein. Eine neue multinationale Studie vom Oktober dieses Jahres (2023) bestätigte die Auslösung von Leukämie in Ratten durch Glyphosat. Darüber hinaus wird der Einsatz von Glyphosat auch mit Parkinson in Verbindung gebracht. Trotzdem behauptet Bayer weiterhin, Glyphosat stelle keine Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier dar.

Verbot als optimale Lösung?

 Auch wenn das Verbot eines so schädlichen und breit angewendeten Giftes wie Glyphosat im Anliegen von ohneGift ist, möchten wir darauf aufmerksam machen, dass ein Totalverbot alleine die Problematik nicht löst. Denn das könnte bedeuten, dass stattdessen auf andere Herbizide umgestiegen wird, mit der Gefahr, dass viele dieser Alternativen noch giftiger sind. Die Alternativgifte wurden bisher in keinem uns bekannten Fall so gründlich untersucht wie Glyphosat, da sie in tieferen Mengen eingesetzt werden und bisher nicht so stark im öffentlichen Fokus standen. Schon ein signifikanter Rückgang im Einsatz von Glyphosat wäre ein grosser Fortschritt. Ein europaweites Verbot der Sikkation und das Verbot von Anwendungsmengen über 0.72 kg/ha und Jahr (sprich keine Bekämpfung von mehrjährigen Unkräuter mit Glyphosat) könnten dazu einen bedeutenden Beitrag leisten. Landwirt:innen, landwirtschaftliche Forschungsanstalten und Umweltbehörden sind sich weitgehend einig: Chemische Alternativen zu Glyphosat sind begrenzt. Darum ist es notwendig, alternative Methoden zu implementieren, beispielsweise unkrautunterdrückende Fruchtfolgen von Hackrobotern oder die Biologische Landwirtschaft.

Eine wirkungsvolle Strategie zur Unkrautbekämpfung erfordert einen Kulturwandel und den Einsatz von Innovationen wie beispielsweise Hackrobotern. Diese erkennen Unkraut durch den Einsatz von Sensoren und Bildverarbeitung und können so Unkräuter gezielt identifizieren und mit präzisen Werkzeugen entfernen. Ganz ohne Gift.

Sikkation (übersetzt „Austrocknung“) beschreibt einen landwirtschaftlichen Prozess, bei dem Kulturpflanzenbestände mithilfe von Sikkanten (wie z.B. Glyphosat) abgetötet werden, um die Abreife zu beschleunigen. Dafür wird das Getreide kurz vor der Ernte erneut mit Gift besprüht, um eine gleichmässige Reifung zu gewährleisten. Ein willkommener Nebeneffekt dieses Vorgangs besteht darin, dass gleichzeitig Unkräuter abgetötet werden, deren noch grüne Pflanzenteile andernfalls mit dem Getreide geerntet und den Feuchtigkeitsgehalt des Ernteguts erhöhen würden. Diese Praxis ist ein massgeblicher Grund für Glyphosatrückstände in Lebensmitteln. Die Sikkation war in der Schweiz noch nie erlaubt, ist in anderen EU-Ländern jedoch Praxis.

Wie geht es weiter in der EU?

 In dieser Woche steht eine zweite Abstimmung in der Kommission an. Falls der Prozess nicht vor dem 15. Dezember abgeschlossen wird, würde das bestehende Abkommen automatisch vorübergehend verlängert, wie es bereits zuvor geschehen ist. Selbst wenn die Genehmigung auf europäischer Ebene erneut verlängert wird, besteht die Möglichkeit, den Einsatz des Herbizids durch Anwendungsvorschriften bei den einzelnen Pflanzenschutzmitteln auf nationaler Ebene zu regeln.

Für die Schweiz fordert ohneGift als Sofortmassnahme zum direkten Schutz der kleinen Säugetiere sowie mittelbarem Schutz der Vögel, dass die Anwendungsmenge von Glyphosat auf 0.72 kg/Hektare und Jahr beschränkt wird. Zudem ist die alternative Unkrautbekämpfung durch eine weitere Anpassung der Direktzahlungsvorschriften zu motivieren.

Während wir diesen Artikel verfassten, erreichte uns die Nachricht, dass die EU-Kommission wahrscheinlich die Zulassung für Glyphosat verlängern wird. Bei der zweiten Abstimmung am 16. November konnte jedoch keine Mehrheit erzielt werden. Daher lag die Entscheidung nun in den Händen der EU-Kommission, die eigenständig handeln konnte. Ein Vorschlag der Kommission sah vor, die Zulassung des Unkrautvernichters um weitere zehn Jahre zu verlängern, was bis zum 15. Dezember gültig ist. Wenn dieser Vorschlag umgesetzt wird, bleibt Glyphosat in der EU bis 2033 erlaubt, jedoch unter bestimmten Auflagen. Zu diesen gehört die Verpflichtung für Landwirt:innen, mindestens fünf Meter breite Pufferstreifen einzuhalten. Des Weiteren sollen die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit haben, sowohl die Menge als auch die Häufigkeit der Anwendung des Mittels zu begrenzen.

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