Wildbienen und Pestizide, Teil 1: Übersicht

In drei Teilen behandeln wir die Gefährdung von Wildbienen durch Pestizide. Gegenstand dieses Beitrags ist eine Übersicht. Im nächsten Teil (Ende Juli) geht es konkret um die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln im Lichte des Wildbienenschutzes und im dritten und letzten Teil (Mitte August) um Biozide.
Bezahnte Schmalbiene, Lasioglossum laevigatum (Quelle: Jürg Sommerhalder, IG Wilde Biene)
Juli 13, 2023

Gastautor: Dr. Hans Maurer (Spezialist für Umweltgifte)

  1. Übersicht

Wild-)bienen, Wespen und Ameisen bilden die Insektenordnung der Hautflügler, von denen (nebst 1’900 Schlupfwespenarten) in der Schweiz bislang 1’400 Arten nachgewiesen wurden, davon rund 620 Wildbienen [1]. Allerdings haben selbst die besten Experten in ihrem Leben kaum mehr als 400 verschiedene Wildbienenarten gesehen, weil 57 bereits ausgestorben, 220 vom Aussterben bedroht oder gefährdet und 58 Arten potenziell gefährdet sind. Insgesamt sind 55 % der Arten in schlechtem Zustand. Hautflügler sind eine ökologische Schlüsselgruppe mit grösster Bedeutung für die Struktur und Funktion der terrestrischen Ökosysteme [2]. Ohne Hautflügler könnten einerseits die meisten Blütenpflanzen nicht mehr existieren und andererseits wären die anderen Pflanzen wie selbstbestäubende Blütenpflanzen und Gräser wie Weizen oder Reis kaum mehr überlebensfähig, weil die Hautflügler eine wichtige Rolle als Gegenspieler von Schadinsekten spielen. Kurzum: Weder Mensch noch Tier könnten auf der Erde leben, wenn es keine Hautflügler gäbe!

  1. Pestizide gefährden vor allem die Wildbienen und weniger die Honigbiene

Es ist eine Binsenwahrheit, dass «Bienen» durch Pestizide gefährdet sind. Bei dieser Aussage wird gemeinhin an die Honigbiene gedacht, die durch in der Landwirtschaft ausgebrachte Pflanzenschutzmittel vergiftet werden können. Die Situation ist jedoch komplexer: Gefährdet sind gerade die Bestände der Honigbiene vergleichsweise wenig, da Honigbienen als gezüchtete Nutztiere leicht vermehrt werden können. Geht ein Volk an Vergiftung ein, kauft sich der Imker ein neues. Fehlt ihnen Nahrung, werden sie mit Zuckerwasser gefüttert.

Ganz anders sieht es bei den übrigen «1’399» Schweizer Wildbienen, Wespen und Ameisen aus, die ganz auf sich allein gestellt überleben müssen.

Pestizide sind nicht die einzige Ursache, dass ein grosser Teil der einheimischen Hautflügler gefährdet oder bereits ausgestorben ist. Eine wichtige Rolle spielt auch, dass die Anzahl und Vielfalt der Blütenpflanzen in den letzten Jahrzehnten enorm zurückgegangen ist. Insbesondere wegen der kompletten Überdüngung des gesamten Landes mit Stickstoffverbindungen aus der Luft, etwa Ammoniak aus der überbordenden Tierhaltung oder Stickoxiden aus dem Strassenverkehr.  Zwar mögen die meisten Blütenpflanzen gerne Stickstoffdünger; besonders zum Wachstum angeregt werden aber Gräser, die den vorhandenen Platz rasch einnehmen und den Blütenpflanzen durch Beschattung die Energieversorgung (Sonnenlicht) entziehen. Unsere einst so reichhaltigen Grünlandökosysteme leiden an «Dünger-Adipositas» (siehe Abb. 3).

  1.  Regulierung der Pestizide

Spricht man von Pestiziden, so sind darunter zu verstehen: Pflanzenschutzmittel für die Landwirtschaft (im Folgenden auch «PSM») und Biozide für andere Verwendungszwecke wie Holzschutz, Fassadenschutz oder Ameisengift (im Folgenden «Bioziode»). Pflanzenschutzmittel und Biozide sind je in eigenen Gesetzgebungen geregelt. Die Regulierung von Pflanzenschutzmitteln findet sich in der Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV), jene für Biozide in der Biozidprodukte-Verordnung. Die ganze Gesetzgebung hat der Bundesrat fast wörtlich von der EU abgeschrieben. Die dort geschaffenen Missstände werden in der Schweiz perpetuiert.

PSM und Biozide müssen von der Bundesverwaltung bewilligt werden, bevor sie in der Schweiz verkauft werden dürfen. Zuständig für die Bewilligung von PSM ist das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), zuständig für Biozide das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Im Vorfeld der Zulassung wirken verschiedene andere Bundesämter als Beurteilungsstellen mit, so etwa das Bundesamt für Umwelt bei Gewässerschutzfragen. Die Zuständigkeiten bei der Bewilligung von PSM hat der Bundesrat per 2022 geändert, weil sich beim vormals zuständigen Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) massive Missstände eingespielt hatten. Allerdings ist es dem BLW gelungen, weiterhin die «Auswirkungen der Pflanzenschutzmittel auf Nichtzielarten, auf die Bodenfruchtbarkeit und auf Bienen in den behandelten landwirtschaftlichen Flächen» zu beurteilen (Art. 72c Bst. b PSMV). Gerade das BLW, das den Schutz der Hautflügler in den letzten Jahrzehnten weitgehend ignorierte, wurde diese wichtige Kompetenz weiterhin zugestanden. Man hat mit anderen Worten den Bock weiterhin als Gärtner beauftragt. Dies betrifft besonders auch die Wildbienen.

In dieser Ausgestaltung der Verwaltungsorganisation im Bund liegt ein wichtiger Grund, dass Wildbienen (und andere Hautflügler) im landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebiet nur noch spärlich auftreten, während sie in Siedlungen und Städten vergleichsweise häufig vorkommen.

Zum Teil 2 über das Zulassungsverfahren von PSM geht es hier.

Der dritte Teil zu Bioziden findet sich da.

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[1]         Dazu kommen 1’900 Arten Schlupfwespen. Zum Ganzen: SCNAT, Insektenvielfalt in der Schweiz, in: Vol. 16, No. 9, 2021, S. 17, siehe: https://api.swiss-academies.ch/site/assets/files/36807/210822_report_insekten_d_printsm2.pdf

[2]      https://www.stadtgaertnerei.bs.ch/dam/jcr:672482b3-0df0-4355-936f-95fc27c9a69c/2022-05-01_Brosch%C3%BCre_Willkommen%20Wildbiene.pdf

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