Wildbienen und Pestizide, Teil 3: Biozide

Im letzten Beitrag haben wir gezeigt, wie Wildbienen in der Schweiz flächendeckend durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gefährdert werden. Doch leider gibt es noch ein weiteres Problem: Biozide.
Auch die die Stahlblaue Mauerbiene ist durch Biozide gefährdet. (Foto: Jürg Sommerhalder, IG Wilde Biene)
August 10, 2023

Gastautor: Dr. Hans Maurer (Spezialist für Umweltgifte)

  1. Übersicht

In den letzten beiden Beiträgen (Übersicht zur Wildbiene in der Schweiz und Zulassung von PSM im Lichte des Wildbienenschutzes) haben wir darüber berichtet, warum Wildbienen durch Pflanzenschutzmittel gefährdet sind. Hier betrachten wir ihre Gefährdung durch Biozide. Auch diese dürfen nicht vernachlässigt werden, obwohl sie insgesamt auf kleinerer Fläche ausgebracht werden als Pflanzenschutzmittel und so weniger flächenwirksam sind.

Biozide sind Stoffe, die zur Vernichtung irgendwelcher, aus Sicht des Menschen, schädlicher Organismen eingesetzt werden. Sie sind geregelt in der Biozidprodukte-Verordnung. Nicht zu den Bioziden zählen Pflanzenschutzmittel, weil für diese eine separate Regulierung besteht (Pflanzenschutzmittelverordnung).

Mit Bioziden werden etwa bekämpft: Ameisen, Spinnen, Nagetiere innerhalb und ausserhalb von Gebäuden, Mücken, Fliegen, Käfer, Kleider- und Lebensmittelmotten in Gebäuden, Schimmelpilze in Fassaden und Holzkonstruktionen, Bakterien und Viren auf Oberflächen.

Die besondere Problematik bei Bioziden besteht darin, dass sie vor allem im Siedlungsgebiet verwendet werden, wo die Artenvielfalt der Wildbienen im Vergleich zum intensiv genutzten landwirtschaftlichen Kulturland noch relativ hoch ist. Damit werden auch diese Refugien für Wildbienen beeinträchtigt.

  1. Welche Biozide sind besonders gefährlich?

Besonders gefährlich für Wildbienen sind die meisten Biozide gegen Insekten und Spinnen, insbesondere jene gegen Ameisen, weil diese (als Hautflügler) eng mit den Wildbienen verwandt sind und damit eine ähnliche Empfindlichkeit für solche Biozide aufweisen.

Im Gegensatz zu den Verkäufern von Pflanzenschutzmitteln müssen die Händler von Bioziden bis dato nicht angeben, welche Wirkstoffmengen sie im vergangenen Jahr in der Schweiz an Konsumenten verkauft haben. Damit besteht bislang keine Übersicht zu den in die Umwelt ausgebrachten Bioziden und keine Möglichkeit zur Abschätzung der Umweltauswirkungen.  Nach Schätzungen werden im Siedlungsgebiet und in der Landwirtschaft pro Jahr «mehrere 100 Tonnen» Biozide ausgebracht [1](Pflanzenschutzmittel rund 2’000 Tonnen), wobei reine Mengenangaben mit Vorsicht zu geniessen sind, denn die Toxizität der verschiedenen Stoffe für Wildbienen und weitere Tiere kann sich um den Faktor 10’000 oder mehr unterscheiden. So ist zum Beispiel das berüchtigte Insektizid und Bienengift «Imidacloprid», welches als Pflanzenschutzmittel im Freiland seit 2019 verboten, aber nach wie vor als Biozid zugelassen ist, um den Faktor 27’000 giftiger als Netzschwefel, der als Fungizid und Milbengift bewilligt ist [2].

Mit einer geschätzten Gesamtverkaufsmenge im Bereich zwischen 1 und 12 t/Jahr dominierten die als schwere Bienengifte bekannten Pyrethroide den Markt für Biozide zur Insektenbekämpfung. Permethrin war dabei das meistverkaufte Pyrethroid (siehe Tab. 2). Es hat einen sehr tiefen (sprich: gefährlichen) LD50-Wert von 0.06 Mikrogramm pro Biene.

Deutschland hat bereits per 1. Januar 2022 eine Mitteilungspflicht für die Verkäufer von Bioziden für die verkauften Mengen eingeführt. Es sieht so aus, dass die Schweiz diesem Beispiel bald folgen dürfte (Änderung der Biozidprodukte-Verordnung).

Ein grosser Mangel bei der Zulassungsprüfung für Biozide besteht darin, dass bei diesen überhaupt nicht geprüft werden muss, ob diese für Honigbienen, geschweige denn für Wildbienen oder andere Nutzarthropoden gefährlich sind. Auch hier kann man sagen, von nichts kommt auch nichts: Solange eine solche Vorschrift nicht im Chemikaliengesetz oder der Biozidprodukte-Verordnung steht, wird auch keine Prüfung vorgenommen. Abgesehen davon übernehmen die Schweizer Behörden auch bei den Bioziden nur die Prüfungsberichte der EU und damit auch deren Fehler.

  1. Zukunft

Es ist eine Eigenheit der Regulierung von Chemikalien, dass die Beurteilungen für die Behörden enorm aufwändig sind. So können Dossiers zu Pflanzenschutzmitteln rasch einmal 100 Bundesordner umfassen. Die Schweizer Behörden sind, auch weil der Gesetzgeber ihnen nur eine dünne Personaldecke zugesteht, überfordert, hier auch nur einigermassen Ordnung zu schaffen.  Ähnlich ist es in der EU. Das jüngste Beispiel sind die sog. «PFAS» (per- und polyfluorierte Alkylverbindungen), deren enorme Toxizität für Mensch und Tier erst nach Jahrzehnten erkannt wurde.  Weitere Fälle werden folgen. Schadensträchtig ist insbesondere der Bereich der Biozide, weil die Prüfungen dort veraltet und unvollständig sind, nicht nur aus der Sicht des Wildbienenschutzes.

Dringend nötig ist, dass auch bei der Zulassung von Bioziden mindestens eine Prüfung erfolgt wie bei den Pflanzenschutzmitteln. Zudem ist es höchste Zeit, Wirkstoffe, die als Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft verboten wurden, auch als Biozide aus dem Verkehr zu ziehen.

Das wohl wirksamste «Gegengift» ist aber die Einführung einer schärferen Produkte- und Umwelthaftpflicht für Hersteller und Verkäufer von Umweltgiften, wie es etwa die USA handhabt. Dort leiden aktuell 200 Millionen Menschen unter PFAS-verseuchtem Trinkwasser und der PFAS-Hersteller 3M sieht sich nun mit Klage- und Haftpflichtkosten in der Höhe von 140 Milliarden Dollar konfrontiert [3]. In der Schweiz und in der EU dagegen ist das Produkte- und Umwelthaftpflichtrecht «wirtschaftsfreundlich» ausgestaltet. Die Folgekosten tragen hier der Staat und die SteuerzahlerInnen, nicht die Shareholder.

Quellen:

[1] SCNAT, Pestizide: Auswirkungen auf Umwelt, Biodiversität und Ökosystemleistungen, Vol. 16, No. 2, 2021, S. 3, siehe: https://www.eawag.ch/fileadmin/Domain1/Forschung/Oekosysteme/Biodiversitaet/pestizide_und_biodiversitaet.pdf

[2] LD50oral Netzschwefel > 10-4 g pro Biene; LD50oral Imidacloprid 3.7 10-9 g pro Biene;  10-4 : 3.7 10-9  = 27’000; siehe zu Imidacloprid: https://bienenuntersuchung.julius-kuehn.de/index.php?menuid=84; siehe zu Netzschwefel: https://www.staehler.ch/_default_upload_bucket/prosulf_-d-.pdf

[3] Unter dem Druck solcher Rechtsmittel haben drei Hersteller am 2. Juni 2023 angeboten, einen Fonds zur Schadenslinderung in der Höhe von 1.9 Milliarden Dollar bereitzustellen. Siehe: https://www.nytimes.com/2023/06/02/business/pfas-pollution-settlement.html

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