Gastautor: Dr. Hans Maurer (Spezialist für Umweltgifte)
Für den Schutz von Wildbienen, wie auch Wespen und Ameisen vor Vergiftung stellt die Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV) keine konkreten Anforderungen auf. Es gilt lediglich die sehr allgemeine, viele zu milde Regel, dass bei einer Anwendung im landwirtschaftlichen Kulturland nicht mehr als 30 % der Nutzarthropoden (wozu auch Wildbienen gehören) sterben dürfen.
Und selbst wenn mehr als 30 % sterben, darf eine Bewilligung nach der PSMV trotzdem erteilt werden, wenn der Gesuchsteller «mit einer geeignete Risikoabschätzung den praktischen Beweis erbringt, dass bei Anwendung des Pflanzenschutzmittels unter den vorgeschlagenen Bedingungen keine unannehmbaren Auswirkungen auf die betreffenden Organismen eintreten» [1].
In der Praxis wird dieser Beweis als erbracht anerkannt, wenn das behandelte Feld, der behandelte Rebberg oder Obstgarten ein Jahr nach der Pestizid Anwendung wieder von Wildbienen oder anderen Nutzinsekten besiedelt werden könnte. Bis zur Dauer eines Jahres darf der Boden also derart mit persistenten PSM vergiftet bleiben, dass Insekten, die sich dort ansiedeln möchten, getötet werden. Mit dieser Praxis wird das behandelte Kulturland zur biologischen Senke (man könnte auch sagen: «Todesfalle»), die Wildbienen aus dem unvergifteten Gebiet anzieht und die dortigen Bestände laufend vermindert (siehe Abb. 1).
Diese Empfehlung an die Zulassungsbehörden (mehr ist es nicht) wurde in der EU vor über 20 Jahren von Lobbyisten der Agrochemie geschaffen und ist niedergelegt in einem «Guidance Document» des internationalen Vereins SETAC [2]. Weder der Gesetzgeber in der EU noch in der Schweiz hat sie je in das normierte Recht übernommen. Trotzdem wird sie von den Zulassungsbehörden im Bewilligungsprozess stur angewendet, damit sie möglichst wenige Pestizide und seien diese für Wildbienen noch so schädlich, verbieten müssen. Daran konnte bislang auch das Insektensterben nichts ändern.
5. Toxizitätstests für Honigbienen schützen Wildbienen nur marginal
Gegenstand einer Prüfung im Zulassungsverfahren für PSM sind gemäss PSMV beim Thema «Bienen» bislang bloss Honigbienen (Apis mellifera). Dabei werden mit toxikologischen Tests zuerst die sog. LD50-Werte bestimmt, also die Giftmenge bei der die Hälfte der getesteten Bienen stirbt. Dies wird zum einen gemacht für die orale Aufnahme des Wirkstoffes (Füttern von vergiftetem Zuckerwasser) und zum anderen für den Kontakt mit dem Wirkstoff (Auftragen von Wirkstoff auf den Körper der Biene). Danach wird mit einer merkwürdigen Rechnung ein Risiko-Quotient (genannt «HQ») bestimmt. Hierzu wird die vom Gesuchsteller für das PSM angegebene Wirkstoffmenge pro Hektare (in Gramm) geteilt durch den LD50-Wert (in Mikrogramm, µg) (sog. Tier I-Prüfung). Sollen pro Hektare zum Beispiel 30 Gramm ausgebracht werden und liegt der LD50-Wert bei 0.5 µg pro Biene, ergibt sich ein HQ von 60 (= 30/0.5).
Hat ein PSM einen HQ von über 50, darf es grundsätzlich nicht bewilligt werden, es sei denn, es werde mit weiteren Versuchen belegt, dass Bienen trotzdem nicht gefährdet sind (sog. Tier II-Prüfung). Hier besteht viel Interpretationsspielraum, den die Gesuchsteller für Pflanzenschutzmittel für sich zu nutzen wissen, nicht zuletzt, weil sie gemäss PSMV alle Tests selber durchführen dürfen und müssen. Möglich ist auch, dass die Behörden die Pestizidanwendung während der Blütezeit der Pflanzen (wichtigstes Beispiel Raps), verbieten, damit die Honigbienen nicht vergiftet werden.
Dem Schutz der Wildbienen dient die Toxizitätsprüfung für Honigbienen leider nur marginal. So wird dort nicht berücksichtigt, dass 80 % der Wildbienen, so etwa die im letzten Beitrag gezeigte Schmalbiene (https://ohnegift.ch/2023/07/13/wildbienen-teil-1/), im Boden nisten und damit auch in Kulturen sind, in welche giftige Insektizide zum Schutz der Honigbienen (bloss) während der Blütezeit (vorstehend) nicht ausgebracht werden dürfen.
Auch die unterschiedliche Sensibilität von Honigbienen und Wildbienen auf toxische Wirkstoffe bleibt ausser Acht. Dies kann durchaus Grössenordnungen ausmachen, wie Tests bei anderen Insekten zeigen. Schon gar kein Thema, auch nicht bei Honigbienen, sind kleinere Populationsveränderungen über längere Zeit. Dies ist aber für Wildbienen von besonderer Bedeutung. Schon eine jährliche Abnahme einer Wildbienenpopulation von «nur» 2 % bedeutet, dass diese innert 45 Jahren um 60 % schrumpft (siehe Abb. 2). Die Erde existiert seit 4.5 Milliarden Jahren, der Mensch seit 200’000 Jahren. Wie lange kann der «moderne» Mensch die heutige Landwirtschaft noch betreiben, ohne die Hautflügler und schliesslich sich selbst zu vernichten?
Der Verkauf und damit der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wird vom Bundesamt für Landwirtschaft jährlich erhoben. Chemisch-synthetische oder auch einige aus natürlichen Quellen gewonnene Pflanzenschutzmittel mit besonderer Schadwirkung auf (Wild-)bienen werden im Jahresdurchschnitt etwa in einer Menge von 10’000 Kilogramm in die Umwelt ausgebracht [3]. Diese Menge reicht aus, um eine Fläche von 300’000 Hektaren zu behandeln [4], wobei die effektiv behandelte Fläche kleiner ist, weil insbesondere in Obst und Gemüsekulturen, wo besonders viele Insektizide verwendet werden, mehrmals pro Jahr gespritzt wird. So mögen es letztlich weniger als 100’000 ha sein, auf denen Insektizide versprüht werden. Allerdings konzentriert sich die Anwendung auf das Flachland oder Weinberge, so dass dort geschätzt rund ein Zehntel der Fläche jährlich mit Insektiziden behandelt wird. Wissenschaftlich untersucht hat es noch niemand, aber eine solche Exposition ist für die Wildbienenpopulationen kaum harmlos. Die hohe Gefährdung der Wildbienen spricht für sich. Als Lichtblick kann immerhin festgestellt werden, dass in den letzten zehn Jahren verschiedene schwere Bienengifte, etwa die Neonicotinoide und Organophosphate, aus dem Verkehr gezogen wurden. Weiter wurde das neonicotinoid-ähnliche Insektizid «Sulfoxaflor» in der EU nur für die Anwendung in Gewächshäusern zugelassen (in der CH noch offen). Allerdings werden immer wieder auch neue, für Bienen sehr giftige Insektizide zur Bewilligung angemeldet. Aktuell steht etwa das schwere Bienengift «Cyantraniliprol» im Bewilligungsprozess.
Klar ist: Ohne den Widerstand der Zivilgesellschaft in der EU und in der Schweiz gegen Bienengifte und andere schädliche Pestizide wäre es noch viel schlimmer.
Quellen:
[1] Anhang 9CI-2.5.2.4 PSMV (Risiken für andere Nutzarthropoden)
[2] SETAC, Guidance Document on Regulatory Testing and Risk Assessment Procedures for Plant Protection Products with Non-Target Arthropods, Wageningen (NL), 21. – 23. März 2000.
[3] https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/nachhaltige-produktion/pflanzenschutz/verkaufsmengen-der-pflanzenschutzmittel-wirkstoffe.html
[4] Bei Ø-Wirkstoffmenge pro Hektare von 30 g.