Gifteinsatz gegen den Japankäfer in Kloten: Wohin geht die Reise? – Teil 1: Humantoxizität

Der Japankäfer ist anmutig, aber gefrässig. In Norditalien und im Tessin besiedelt er schon bald ein Gebiet so gross wie die Schweiz. Als diesen Sommer der Japankäfer in Kloten gesichtet wurde, gab es einen grossen Aufschrei. Als Antwort darauf wurde ohne grosses Federlesen zu einem drastischen Bekämpfungsmittel gegriffen: Acetamiprid. Dass dieses Gift auch für Menschen gefährlich werden kann, davon war kaum die Rede. Wir behandeln die Japankäfer-Thematik in drei Teilen mit den Schwerpunkten Humantoxikologie (vorliegend), Umwelttoxikologie und alternative Methoden im Umgang mit dem Krabbeltier (später).
Gifteinsatz gegen den Japankäfer in Kloten. Quelle: Taddeo Cerletti, 20min
Dezember 12, 2023
Solène Schaub

Was bisher geschah

Diesen Sommer wurde eine kleine Japankäferpopulation in Pheromonfallen in Kloten gefunden (für Timeline siehe Grafik unten). Um die Verbreitung des Käfers zu verhindern, wurden mit Gift präparierte Netze aufgestellt sowie die gesamte Vegetation in der Kernzone mit dem starken Gift Acetamiprid besprüht. Sogar auf Spielflächen für Kinder wurde das Gift versprüht. Später wurden zusätzlich die Flächen im Befallszentrum mit Nematoden-angereichertem Wasser gegossen. Die Nematoden (Fadenwürmer) sollen die Käferlarven im Boden aufspüren, in sie eindringen und sie durch die Absonderung eines Bakteriums töten. Ende Oktober wurden trotz den Behandlungen einige Käferlarven im Boden gefunden [1]. Der Erfolg der angewandten Massnahmen wird sich jedoch erst nächsten Frühling zeigen, wenn die neuen Käfer schlüpfen (oder auch nicht).

Übersicht über die Japankäfer-Situation und die getroffenen Massnahmen in der Schweiz.

Japankäfer – in den ersten Jahrzehnten Plage, dann ein Ärgernis

Wie der Maiswurzelbohrer ist auch der Japankäfer (Popilla japonica) ein sogenannter Quarantäneorganismus und ist daher (sowohl in der Schweiz als auch in der EU) melde- und bekämpfungspflichtig. Zu der Familie der Blatthornkäfer gehörend stammt der ca. 1 cm lange Käfer ursprünglich aus Japan. Charakteristisch sind die 5 weissen Haarbüschel zu beiden Seiten (siehe Bild). [2]

Männlicher Japankäfer. Quelle: Gilles San Martin, https://gd.eppo.int/taxon/POPIJA/photos

Der Japankäfer ist eine Turbo- und Vielfrass-Version des Maikäfers: Er bringt jedes Jahr eine Generation (ca. 50 Eier pro Weibchen) hervor, während die Maikäferlarve 3 – 5 Jahre im Boden lebt, bevor ein neuer Käfer entsteht. Wie der Maikäfer vertilgt er Laubgehölze, dazu aber hunderte weitere Pflanzenarten. Seine Nahrungsflexibilität verdankt er einem besonderen Magen, der Pflanzenabwehrstoffe mittels Enzymen unschädlich macht [3]. In den USA (230x die Fläche der Schweiz), wo der Käfer seit 1916 vorkommt, kostet das «Japanese beetle management» mittlerweile 460 Mio. USD pro Jahr. Die Hälfte der Schäden verursachen die Engerlinge, welche unter Wiesen oder Rasenflächen die Wurzeln der Gräser abfressen [4]. Oberirdisch werden Blätter, Blüten und Früchte von den ausgewachsenen Käfern gefressen [5].

2014 wurde der Japankäfer in der Nähe von Mailand in der Lombardei entdeckt. Seither verdoppelt sich die befallene Fläche alle 1 bis 2 Jahre. Das befallene Gebiet umfasste 2022 schon 16’000 km2 und wird 2024 etwa die Grösse der Schweiz erreichen. Bei den Kulturpflanzen werden gerne Reben befallen. Im Piemont können an einer Weinpflanze 200 – 300 oder auch mal 1’000 Käfer nagen und die Blätter regelrecht skelettieren. Der Erwartungswert für Schäden liegt bei 2’700 Euro pro Hektare Reben [6].

In den USA, wo das Problem schon lange besteht, entwickelten sich die Käfer in den ersten Jahrzehnten nach der Einwanderung zu einer wahren Plage und schwächten sich dann zu einem Ärgernis ab [4]. Offenbar konnte sich das Ökosystem nach einer gewissen Weile auf die Käfer einstellen und ein neues Gleichgewicht finden.

Das erwartete hohe Schadenpotential an den Wirtspflanzen ist der Grund, weshalb der Japankäfer in Kloten sogleich bekämpft wurde. Für die Tilgung der Käfer wurde mit dem Neonicotinoid Acetamiprid schliesslich auf ein absolutes Supergift gesetzt.

Neonicotinoide: Diese Insektizide wirken auf das Nervensystem von Insekten. Es sind Gifte mit systemischer Wirkungsweise, d.h. die Pflanzen bauen das Gift in jede ihrer Zellen ein (Wurzeln, Stängel, Blätter, Pollen, Früchte etc.). Dadurch werden alle Tiere geschädigt, welche Teile der Pflanze fressen, ihren Nektar saugen oder Pollen sammeln.[7] Ausser Acetamiprid wurden 2021 alle anderen Neonicotinoide aus der Landwirtschaft verbannt. Grund dafür war namentlich ihre hohe Toxizität für Honigbienen, Hummeln und Wildbienen [8].

Es gibt immer mehr wissenschaftliche Beweise dafür, dass Neonicotinoide nicht nur das Nervensystem von Insekten, sondern auch von Tieren und Menschen angreifen. Bereits geringe Konzentration von Giften können an die Rezeptoren in unseren Gehirnen binden und schliesslich zu Anomalien in der Fortpflanzung oder zu Leber- und Nierenschäden führen [9]. Andere Studien zeigten, dass Neonicotinoide in Zusammenhang mit Krankheiten wie Leukämie, Hirnrisse, Atemversagen und Lungentuberkulose stehen [10] sowie die Plazenta ungehindert passieren und so noch vor der Geburt von der Mutter auf das Kind weitergegeben werden können [11].

Acetamiprid –  schädlich für den Menschen?

Acetamiprid ist in der Umwelt im Vergleich zu anderen Neonicotinoiden wenig stabil (Halbwertzeit im Boden 1 – 55 Tage). Dies ist wohl der Hauptgrund, weshalb Acetamiprid als letztes Neonicotinoid überhaupt noch in der Landwirtschaft zugelassen ist. Die gute Abbaubarkeit der Muttersubstanz (Acetamiprid) bedeutet leider keine Entwarnung, weil das hauptsächliche Abbauprodukte (N-desmethyl-acetamiprid = IM-1-5) nicht nur sehr langlebig ist (Halbwertszeit im Boden 320 – 660 Tage) sondern für Menschen auch toxisch [12]. Zudem gelangt IM-1-5 leicht ins Grundwasser. So müssen für die Beurteilung der Humantoxizität nicht nur Acetamiprid sondern auch IM-1-5 betrachtet werden.

Acetamiprid:

Eine Risikobewertung der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von 2016 stuft Acetamiprid als krebserregend Kategorie 2 ein [12]. In einer Folgestudie (2021) wird festgestellt, es fehle die Abklärung, ob Acetamiprid ein endokriner Disruptor ist (also ein Hormongift, das bereits in geringen Konzentrationen wirkt. Siehe Blogartikel zu hormonaktiven Substanzen) Diese Abklärung ist heute «State of the Art». Sie wurde für Acetamiprid noch nie nach der Vorschrift des europäischen Pflanzenschutzmittelrechts durchgeführt.

Es gibt jedoch bereits klare Hinweise aus der Forschung. Toxikolog:innen der Universität Nitra (Slowakei) stellen fest:

«Im weiblichen Fortpflanzungssystem führt Acetamiprid zu pathomorphologischen Veränderungen in den Follikeln sowie zu Stoffwechselveränderungen in den Eierstöcken.» [13]

In anderen Studien werden durch Acetamiprid verursachte DNA-Schäden im Menschen festgestellt [14] oder ihre Metaboliten (Abbauprodukte) in Gehirnen von Kindern gefunden [11]. Es kann also durchaus von einer ernsthaften Gefahr dieses Giftes für den Menschen gesprochen werden.

IM-1-5:

Der grundwassergängige Metabolit IM-1-5 wurde von der EFSA aufgrund seiner hohen Giftigkeit als toxikologisch relevant eingestuft [12]. Leider sieht man aus den EFSA-Akten nicht, worin diese genau besteht. Möglicherweise ist er karzinogen wie die Muttersubstanz oder ein endokriner Disruptor. In der Schweiz sollte die Zulassungsbehörde (BLV) über diese Untersuchungsakten verfügen. Da sie nicht öffentlich sind, können wir dazu im Moment nicht mehr sagen.

Wie gefährlich ist die Situation in Kloten?

Bei den meisten Pestizidanwendungen – und so auch im Fall Kloten – besteht die Gefahr der Abdrift. Das bedeutet, dass Pestizidtröpfchen mit den Luftbewegungen und dem Wind zu Menschen oder in die Häuser verfrachtet werden. Sodann gelangt Acetamiprid auf den Boden, teils direkt beim Spritzen oder weil es später vom Regen abgewaschen wird. Dort wandelt es sich dann über einige Wochen oder Monate in IM-1-5 um.

IM-1-5 ist leicht wasserlöslich [14], sickert mit Niederschlagswasser in den Boden bis zum Grundwasserstrom und wandert mit diesem weiter. Kritisch wird es hier, weil sich in der Befallsherd-Zone in Kloten zwei Grundwasserfassungen befinden. In ihren Schutzzonen wurde zwar kein Gift ausgebracht wird, dennoch besteht das Risiko, dass das Gift mit dem Grundwasserstrom von der Befallsherd-Zone in die Trinkwasserfassungen transportiert wird. In Kloten dürfte die Fliessgeschwindigkeit des Grundwassers, wie im Lockergestein üblich, einige Meter pro Tag betragen. Die rund 200 m breite Schutzzone wird so in wenigen Monaten durchströmt. Die Grundwasserschutzzonen schützen deshalb nicht vor Pestizideinträgen. Sie sind auch nicht dazu gedacht, sondern sollen mikrobielle Belastungen fernhalten.

Karte Kloten. Rote Fläche = Befallsherd (entspricht Stadtgrenze). Roter Punkt = Sportanlage Stighag, in dessen Umgebung Acetamiprid versprüht wurde. Dunkelblau = Grundwasserschutzzone S1. Hellblau = Grundwasserschutzzone S2. Orange = Grundwasserschutzzone S3. Eigene Darstellung mit Daten aus https://maps.zh.ch/

Bisher ist unklar, ob die Stadt Kloten eine gezielte Überwachung der vorgeschriebenen Grenzwerte (0.1 µg/Liter für Acetamiprid und seine Metaboliten [15]) vorsieht. Da noch ungeklärt ist, ob Acetamiprid und IM-1-5 endokrine Disruptoren sind, sollte hier das Vorsichtsprinzip gelten und eine Überwachung, insbesondere auf IM-1-5 jedenfalls vorgenommen werden.

Da die Fachstelle für Pflanzenschutz Zürich uns keine Angaben über die ausgebrachte Menge sagen konnte (oder wollte?) und diverse unbekannte Faktoren eine Rolle spielen, ist eine abschliessende Risikoabschätzung schwierig. Der Verein ohneGift empfiehlt jedoch stark, das Grundwasser aus den beiden Fassungen ab dem nächsten Jahr (2024) zu überprüfen, um eine bessere Einschätzung für das Gesundheitsrisiko der Bevölkerung zu ermöglichen.

Quellen:

[1] https://www.zsz.ch/japankaefer-konnte-eier-ablegen-erste-larven-entdeckt-trotz-anti-kaefer-aktion-in-kloten-375990923984 (03.11.2023)

[2] Strickhof (2023): Der Japankäfer. 

[3]  https://de.wikipedia.org/wiki/Maikäfer und https://de.wikipedia.org/wiki/Japankäfer (04.11.2023)

[4] The New York Times (2021): The Japanese Beetles Are Back (04.11.2023)

[5] Agroscope (2023): Japankäfer

[6] Abschätzung anhand der Angaben in: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/finsc.2023.1176405/full und https://www.popillia.eu/blog/updated-interactive-map-of-the-japense-beetle (04.11.2023)

[7] Umweltinstitut München e.V. : Das Insektensterben nimmt dramatische Ausmaße an

[8] Vgl. zum Beispiel für das Neonicotinoid «Imidacloprid»: EFSA (2016): Peer review of the pesticide risk assessment of the active substance acetamiprid

[9] Beyond Pesticides (2023): Neonicotinoid Insecticides Adversely Affect Nervous System Health, According to Study

[10]  Jing Li et al. (2022): Detection of Neonicotinoid Insecticides and Their Metabolites in Human Cerebrospinal Fluid

[11] Zhang et al. (2022): Neonicotinoid Insecticides and Their Metabolites Can Pass through the Human Placenta Unimpeded

[12] EFSA (2016): Peer review of the pesticide risk assessment of the active substance acetamiprid

[13] Zušcíková, et al. (2023): Screening of Toxic Effects of Neonicotinoid Insecticides with a Focus on Acetamiprid: A Review

[14] Phogat, et al. (2022): Toxicity of the acetamiprid insecticide for mammals: a review

[15] TBDV Anhang 2

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