Gifteinsatz gegen den Japankäfer in Kloten: Wohin geht die Reise? – Teil 2: Umwelttoxizität

In unserem letzten Blogbeitrag haben wir über die gesundheitlichen Auswirkungen von Acetamiprid auf den Menschen berichtet. Nun schauen wir an, wie sich das Gift auf die Umwelt und ihre Tiere auswirkt.
Der Japankäfer (Popillia japonica) skelettiert Blätter der Weinrebe. Quelle: David Cappaert, Bugwood.org
Dezember 20, 2023
Solène Schaub

Ende Juli dieses Jahres wurde in Kloten das Insektizid Acetamiprid als Bekämpfungsmittel gegen den Japankäfer eingesetzt. Das Neonicotinoid ist ein hochwirksames Breitbandgift gegen Insekten und hat auch schädliche Effekte für den Menschen (für genauere Erläuterungen siehe letzten Blogbeitrag). In diesem Artikel nehmen wir eine Risikobeurteilung zur Ökotoxizität vor. Diese stützt sich hauptsächlich auf das Peer Review der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) aus dem Jahr 2016 [1]. Die EFSA untersuchte die Sensitivität verschiedener Organismengruppen (wie immer leider ohne Amphibien) auf die Acetamipridanwendung bei Kartoffeln, Tomaten und Kernobst. Im Fall von Kloten wurde das Gift allerdings breitflächig auf die gesamte Vegetation versprüht. Somit ist die Situation aus dem Peer Review nicht ganz die gleiche wie in Kloten (die Einschätzungen der EFSA sind für den Fall Kloten eher konservativ). Zudem wird eine abschliessende Risikoabschätzung erschwert, da uns die Fachstelle Pflanzenschutz Zürich trotz mehrfacher Nachfrage keine Angaben über die ausgebrachte Giftmenge gab. Dies wäre wichtig zu wissen, weil die Auswirkungen auf die Umwelt stark von der eingesetzten Menge abhängig sind.

Wie lange bleibt Acetamiprid in der Umwelt?

Als Indikator für die Persistenz (Beständigkeit vor dem Abbau) einer chemischen Verbindung wird standardmässig der DT50 Wert verwendet. DT50 (steht für dissipation time) gibt die Dauer an, in der sich 50% der Substanz abgebaut haben. Manchmal wird auch DT90 verwendet, also eine Abnahme der Substanz um 90%. Für gewöhnlich wird dieser Prozess im Boden gemessen. Der Abbau einer Substanz, beziehungsweise die Reaktionszeit von biochemischen Prozessen generell, hängt stark von der Temperatur, dem pH-Wert, der Durchlüftung des Bodens (Sauerstoffgehalt) und weiteren Parametern ab. Deswegen ist dieser Wert nicht fix, sondern je nach Umweltbedingungen unterschiedlich. Nachfolgend ist die Bandbreite der gemessenen DT50-Werte für Acetamiprid und seine Metaboliten (also die Abbauprodukte, welche ihrerseits in andere Abbauprodukte umgewandelt werden) angegeben. [1]

Acetamiprid: DT50 = 0.8 – 54.5 Tage

IM-1-2: DT50 = 1.6 – 1.9 Tage

IM-1-4: DT50 = 2.3 – 146 Tage

IM-1-5: DT50 = 319 – 663 Tage

Auffallend ist die besonders schwere Abbaubarkeit des Metaboliten IM-1-5 (Abkürzung für N-desmethyl-acetamiprid).

Risikobeurteilung der EFSA in Bezug auf …

Säugetiere:

  • Geringes akutes Risiko
  • Hohes langfristiges Risiko für kleine pflanzenfressende Säugetiere sowie frugivore (Früchte fressende) Säugetiere
  • Es besteht eine Datenlücke

Vögel:

Bienen:

  • Geringes Risiko für Honigbienen und Hummeln
  • Geringes Risiko durch die Metaboliten, da eine geringe Exposition erwartet wird
  • Datenlücke für subletale Effekte
  • Die Relevanz auf Populationsebene ist schwierig abzuschätzen [2]
  • Eine neuere Studie hat bei geringen Konzentrationen Verhaltensänderungen in Hummeln festgestellt [3]
  • Hummeln reagieren möglicherweise empfindlicher als Honigbienen

Wasserorganismen:

  • Hohes Risiko für Wasserinsekten
  • Mittleres Risiko für Zooplankton wie dem Grossen Wasserfloh [4]
  • Geringes Risiko Algen und Wasserpflanzen.
  • Datenmangel für Naididae (= im Wasser lebende Würmer)
  • Geringes Risiko für Fische, wobei eine Datenlücke für bei uns einheimische Fische besteht
  • Bei nicht einheimischen Fischarten wurden bei langfristiger Exposition Verweiblichung und Fortpflanzungsstörungen festgestellt sowie das Gift und seine Metaboliten auf die Nachkommen übertragen, bei denen es Entwicklungsstörungen herbeirief.[5] Bei höheren Konzentrationen wiesen die Fischembryonen diverse subletale (Missbildungen, Herzfrequenz, Körperlänge, Veränderung der Spontanbewegung und Berührungsreaktionen) und letale Wirkungen auf.[6] Ein Risiko auf unsere einheimischen Fische ist also nicht auszuschliessen.
  • Unklar, ob Acetamiprid ein endokriner Disruptor für Fische ist

Nichtziel-Arthropoden:

  • Nichtziel-Arthropoden oder auch Nutz-Arthropoden sind diejenigen Gliederfüssler (Insekten, Tausendfüssler, Krebstiere, Spinnentiere), welche für den Menschen «nützlich» sind und deswegen nicht vom Insektizid geschädigt werden sollten
  • Hohes Risiko für Raubmilben und Blattlauswespen innerhalb des Giftanwendungsgebiet
  • Es steht noch nicht fest, ob sich die betroffenen Arten in einem ökologisch relevanten Zeitraum erholen können

Bodenmakroorganismen:

  • Geringes Risiko für Regenwürmer, wobei die Repräsentativität umstritten ist

 

Folgen für das Ökosystem

Die festgestellten schädigenden Effekte von Acetamiprid auf nicht-Zielarten können nicht nur auf Individuenebene, sondern auch für das ganze Ökosystem Folgen haben. Dies kann gut am Beispiel von Zooplankton (wozu der Grosse Wasserfloh gehört) gezeigt werden. Zooplankton kommt eine wichtige Rolle in der Dynamik von Gewässern zu, da sie einerseits die Algen- und Bakterienpopulationen durch Frass kontrollieren, andererseits selber als Nahrungsquelle für andere Tiere wie Fische dienen sowie gelöste Nährstoffe ausscheiden.[7] Es besteht ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Tierarten und Nährstoffe. Ändert sich ein Element im Nahrungsnetz, kann dies Folgen für das gesamte System mit sich bringen. Änderungen in Zooplanktonpopulationen können somit Änderungen im gesamten aquatischen System mit sich bringen. Gleiches gilt für diverse Wasserinsekten.

Unsere einheimischen Vögel stehen unter enormen Druck durch Lebensraumverlust, Nahrungsknappheit und Klimawandel. 40 % der Brutvögel der Schweiz stehen auf der Roten Liste.[8] Dabei haben Vögel eine wichtige Funktion im Ökosystem inne, denn sie fressen Schädlinge, bestäuben Blumen, verbreiten Samen, verwerten Aas und sind somit im gesamten Nährstoffkreislauf involviert.[9] Die Ergebnisse aus der EFSA-Risikobewertung zusammen mit Erkenntnissen aus Studien mit anderen Neonicotinoiden und den ähnlich wirkenden Organophospaten (beispielsweise verloren Singvögel bei geringer Aufnahme von Imidacloprid oder Chlorpyrifos ihren Orientierungssinn oder litten an Konditionsverlusten[10]) lassen darauf schliessen, dass mit der Giftausbringung in Kloten der bereits bestehende Druck auf unsere Vogelpopulationen verstärkt wird.

Die wiederum fehlende Beurteilung im Peer Review der EFSA für Amphibien ist sehr bedauerlich, denn um diese Organismengruppe steht es in der Schweiz noch schlechter als um die Vögel. 79% stehen auf der Roten Liste[11] und der Schutz der Amphibien und ihrer Lebensräume ist Bemühung vieler Naturschutzorganisationen. Gerade für bereits gefährdete Tiergruppen wäre es also wichtig, ein Risiko ausschliessen zu können. Für die Risikobeurteilung kann nicht auf die Toxizität für Fische abgestellt werden, weil sich Amphibien auch auf dem Land und mitunter in den pestizidbehandelten Kulturen aufhalten. Dort nehmen sie die Schadstoffe über ihre feuchte Haut oder kontaminierte Insekten auf.

Was bedeutet das für den Fall Kloten?

Aus den obigen Ergebnissen wird deutlich, dass verschiedene Organismengruppen bei einer Acetamiprid-Exposition zu Schaden kommen können. Für den Fall Kloten sehen wir besonders bei den aquatischen Lebensräumen ein Gefährdungspotential. Dies, weil die aquatischen Lebewesen (insbesondere Wasserinsekten) besonders sensitiv auf das Gift reagieren und gleichzeitig mehrere Gewässer (Nägelimoosweiher, Abschnitte des Altbachs und Rübisbach) in unmittelbarer Nähe vom Giftanwendungsgebiet liegen (siehe Karte). Das Risiko ist zudem erhöht, da es während bzw. nach der Giftausbringung in Kloten recht stark geregnet hat, wodurch sich das gut wasserlösliche Insektizid oder der bereits gebildete, sehr gut wasserlösliche Metabolit IM-1-5 auswaschen konnten (siehe Grafik Niederschlagsmenge). Ausserdem ist unklar, ob bei der Giftanwendung der vorgeschriebene Abstand von 20m zu Oberflächengewässern[12] eingehalten wurde.

Karte Kloten. Rote Fläche = Befallsherd (entspricht Stadtgrenze). Roter Punkt = Sportanlage Stighag, in dessen Umgebung Acetamiprid versprüht wurde. Blau = Oberflächengewässer. A = Altbach. R = Rübisbach. N = Nägelimoosweiher. Eigene Darstellung mit Daten aus https://maps.zh.ch/

Niederschlagsmenge gemessen in der Wetterstation in Kloten in den 2 Wochen nach der Giftausbringung (rot markiert). Daten: MeteoSchweiz

Da gemäss EFSA ebenfalls Vögel und kleine pflanzenfressende Säugetiere stark gefährdet sind, sehen wir auch hier ein reelles Risiko durch die Giftausbringung in Kloten. Durch die grossflächige Acetamiprid Anwendung sind diese Tiere sowohl durch die direkte Ausbringung als auch durch Abdrift gefährdet. Das Risiko ist im Vergleich zum EFSA Bericht zudem für luftbewohnende Lebewesen und Insekten erhöht, da das Gift nicht nur bodennah, sondern auch in Baumkronen versprüht wurde.

Nach Aussage der Fachstelle Pflanzenschutz Zürich ist die Auswertung der ausgebrachten Menge «sehr weit unten in der Prioritätenliste». Es bestehen also weiterhin keine Angaben über die verwendeten Acetamipridmengen, was eine endgültige Risikoabschätzung schwierig macht. Wie auch für das Grundwasser wäre es für die Oberflächengewässer wichtig und interessant, nächstes Jahr die Konzentrationen von Acetamiprid und seinen Metaboliten zu messen (besonders in den drei genannten Gewässern). Falls in Zukunft bei möglichem weiteren Japankäferpopulationen in Kloten oder an anderen Standorten in der Schweiz erneut Acetamiprid grossflächig angewendet wird, kann es zu einer Destabilisierung des Ökosystems kommen. Ausgelöst durch eine Massnahme, die eigentlich das Ökosystem retten sollte.

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