Pestizide auf Alpengipfeln im Südtirol – und in der Schweiz?

Pestizide gelangen durch Abdrift auf benachbarte Felder. Eine neue Studie weist Pestizide auf über 2300 Metern über Meer nach, weit weg vom Ausbringungsort.
Pestizide können auch in diesem abgelegen Bergtal gefunden werden.
Ob wohl auch diese Wiese und dieser Bach im Turtmanntal durch Pestizide belastet sind? Bild @AlbertKrebs

Das Wichtigste in Kürze:

  • In der Studie im Vinschgau in Südtirol wurden 27 verschiedene Insektizide, Herbizide und Fungizide nachgewiesen. Die Pestizide stammen aus dem intensiven Obstbau. Das Vinschgau ist eines der europäischen Hauptanbaugebiete für Äpfel.
  • Für die Schweiz gibt es keine vergleichbaren Untersuchungen. Insbesondere ist nicht bekannt, inwiefern entferntere naturnahe Ökosysteme und Schutzgebiete durch Pestizide belastet sind.

Der Verein ohneGift fordert:

Auch in der Schweiz braucht es Untersuchungen zur Verfrachtung von Pestiziden über weite Distanzen. Ziel muss ein systematisches Monitoring sein. 

Wie gelangen Pestizide an so abgelegene Orte?

Pestizidpartikel können bei der Anwendung durch Luftbewegung und Winde von der behandelten Fläche weggetragen werden. Dies wird als Abdrift bezeichnet. Beispiele für Einflussfaktoren auf Abdrift sind unter anderem die Geschwindigkeit des Fahrzeugs, die Höhe des Spritzvorgangs, die Temperatur und die Stärke des Windes. Weiter sind viele Metaboliten (Abbauprodukte) von Pestiziden schwer abbaubar. Diese verweilen darum auf und im Boden, können sich akkumulieren und noch lange nach der Anwendung verfrachtet werden.

Studie aus dem Vinschgau

Der Vinschgau lockt zahlreiche Touristen an und ist berühmt für seinen Apfelanbau. Ein beträchtlicher Anteil – jeder zehnte Apfel, der in Europa verzehrt wird – stammt aus dieser Region. Eine kürzlich durchgeführte Studie ergab, dass insgesamt 27 verschiedene Insektizide, Herbizide und Fungizide im Vinschgau nachgewiesen wurden.[1] Dies verdeutlicht, dass selbst entlegene (alpine) Schutzgebiete nicht vor Umweltverschmutzung geschützt sind.

Die Studie unterstreicht erneut die Dringlichkeit, unsere Umwelt nicht weiter mit giftigen Chemikalien zu belasten. Pestizide müssen drastisch reduziert werden. Landwirtinnen und Landwirte benötigen Unterstützung bei der Umstellung auf nicht-chemische Alternativen. Es ist unerlässlich, europaweit eine deutliche Reduzierung von Pestiziden voranzutreiben, gefährliche Substanzen zu verbieten und sensible Gebiete besser zu schützen. Doch: Eine entsprechende EU-Verordnung (bis 2030 sollte der Einsatz von Pestiziden in der EU halbiert werden) wurde gerade beerdigt.[2] 

Auch in der Schweiz stehen die Zeichen momentan nicht auf weniger Einsatz von Pestiziden. Wie wir in vergangen Artikeln gezeigt haben, will der Bund mit der Totalrevision der Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV) möglichst bald noch mehr Pestizide in der Schweiz zulassen. 

Fast keine Daten für die Schweiz 

Bereits 2019 wurde in einer Studie in Deutschland bewiesen, dass Pestizide viel weiter «fliegen» können als gedacht.[3] Der Forderung nach einer vergleichbaren Studie bzw. eines Monitorings der Verfrachtung von Pestiziden durch die Luft (Interpellation von Martina Munz, Nationalrätin SP) kam der Bundesrat nicht nach. Daraufhin untersuchte Greenpeace im selber Jahr (2019) die Konzentration von Pestiziden in der Luft auf biologisch bewirtschaftenden Flächen in der Schweiz.[4] Insgesamt wurden über 20 verschiedene Pestizide nachgewiesen, die auf diesen Bio-Flächen nichts zu suchen hatten. Unter diesen befand sich auch der Wirkstoff Brompropylat, der seit 2010 nicht mehr zugelassen ist. Zusätzlich wurden zwei Metaboliten identifiziert: AMPA, ein Abbauprodukt von Glyphosat, sowie 4,4′-DDE, ein Abbauprodukt des längst nicht mehr zugelassenen DDT. Obwohl DDT seit langem nicht mehr verwendet wird, ist 4,4′-DDE aufgrund seiner Persistenz immer noch in der Umwelt präsent und weit verbreitet.

Die gefunden Konzentrationen von Pestiziden und deren Metaboliten im Vinschgau waren gering. Dennoch: Wie sich chronische Belastungen durch Pestizide mit Mischungen in niedrigen Konzentrationen auf die Umwelt auswirken, ist bisher kaum erforscht. Auch ist noch wenig über ein mögliches Zusammenwirken verschiedener Substanzen bekannt. Bei der Umweltrisikobewertung im Rahmen des europäischen Zulassungsverfahrens (und auch in der Schweiz) werden Mischungen (und deren sogenannte Cocktailwirkung) nicht bewertet. Vielmehr werden die Stoffe nur je einzeln beurteilt.

Lassen sich die Ergebnisse aus dem Südtirol auf die Schweiz übertragen?

Die Situation im Vinschgau ist insofern speziell, da in dieser Region über 1700 Betriebe ausschliesslich Äpfel in Monokulturen anbauen. Der Einsatz von synthetischen Pestiziden ist in diesen Kulturen verhältnismässig hoch. Weiter werden die Pestizide mit Gebläse verteilt. Dadurch erfolgt vor allem bei Wind eine weiträumige Verfrachtung.

Allerdings gibt es auch in der Schweiz Regionen, in denen im grossen Stil Monokulturen angebaut und Pestizide sehr intensiv eingesetzt werden (z.B. Gemüse im Berner Seeland, Obst in der Bodenseeregion). Auch in diesen Gebieten können erhebliche Mengen an Pestiziden durch den Wind kilometerweit transportiert werden und so unerwünschte Auswirkungen auf Insekten, Amphibien, Singvögel, Kinder auf Spielplätzen, Sportler und Menschen haben, die sich im Freien aufhalten. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch bei uns viel mehr Gebiete betroffen sind als nur das Umland von landwirtschaftlichen Flächen. Die Problematik der Abdrift auf benachbarte Felder (zum Beispiel von konventionell bewirtschafteten auf Biokulturen) haben wir in einem vergangenen Beitrag bereits aufgezeigt. In der Schweiz wurde bis jetzt aber noch nie grossflächig nach Rückständen von Pestiziden ausserhalb des Landwirtschaftsgebietes gesucht.

Potenziell bedroht sind wertvolle naturnahe Ökosysteme und Schutzgebiete

Die Schweiz verfügt im europäischen Vergleich über weniger Biodiversitätsflächen (EU: 26.4%, Schweiz: 10.8%)[5]. Gleichzeitig erfolgt in der Schweiz aber ein weit höherer Pestizideinsatz. (Schweiz: 4.9 kg/ha, EU: 1.7 kg/ha). Mit anderen Worten hat die Schweiz nicht nur weniger Biodiversitätsflächen als die meisten EU-Länder, sondern setzt diese auch noch einer mehrfach höheren Pestizidbelastung aus.

Die ganze Studie aus dem Vinschgau kann hier gelesen werden.


[1] https://www.nature.com/articles/s43247-024-01220-1

[2] https://www.wwf.de/2023/november/europa-parlament-lehnt-vorschlag-fuer-pestizid-verordnung-sur-ab

[3] https://www.researchgate.net/publication/331221461_Biomonitoring_der_Pestizid_-_Belastung_der_Luft_mittels_Luftgute_-_Rindenmonitoring_und_Multi_-_Analytik_auf_uber_500_Wirkstoffe_inklusive_Glyphosat

[4] https://www.greenpeace.ch/static/planet4-switzerland-stateless/2020/11/40588670-pestizide_de_web_05_11_20.pdf

[5] https://naturschutz.ch/news/gesellschaft/europaisches-schlusslicht-stillstand-bedroht-schweizer-biodiversitat/175795#:~:text=Analog%20Natura%202000%20hätte%20die,es%20magere%2010%2C8%20%25.

Newsletter

Bleib informiert über aktuelle Themen

Sie können sich jederzeit wieder abmelden.